«Digital, wo sinnvoll – analog, wo nötig.»

Im Kanton Thurgau treibt Eva-Maria Boretti den digitalen Wandel der Verwaltung voran. Als Leiterin des Kompetenzzentrums Digitale Verwaltung will sie Strukturen schaffen, die Behörden und Bevölkerung entlasten – ohne dabei den Menschen aus dem Blick zu verlieren. Im Gespräch erklärt sie, wo die Verwaltung noch aufholt, was gute Digitalisierung ausmacht und warum analoge Angebote bleiben müssen.

Von Gregor Patorski · 4. November 2025

Eva-Maria Boretti, Leiterin Kompetenzzentrum Digitale Verwaltung, Kanton Thurgau, im 5-Fragen-Interview zur Digitalisierung. (Video: Louis Schöb)

Wo und wie sind Sie beruflich und privat digital unterwegs?

Beruflich bin ich vollständig im digitalen Raum tätig – von der Business-Analyse über UX-Design bis zur Programmierung. Ohne Tools wie Figma oder Visio wäre meine Arbeit gar nicht möglich. Privat nutze ich digitale Angebote pragmatisch: fürs Einkaufen, Reisen oder Banking. Digitalisierung soll den Alltag vereinfachen, nicht verkomplizieren. Ich sehe sie nicht als Selbstzweck, sondern als Unterstützung, um Aufgaben einfacher und unabhängiger von Bürozeiten zu erledigen. Respekt habe ich dort, wo sie zu viel Raum einnimmt – etwa beim Medienkonsum von Kindern. Wenn man Branchen vergleicht, dann hat die öffentliche Verwaltung einen gewissen Nachholbedarf. Die Entwicklung hat später eingesetzt als in anderen Bereichen – etwa im Finanz- oder Versicherungswesen, wo Online-Banking oder digitale Transaktionen schon vor über 20 Jahren etabliert waren. In der Verwaltung holen wir diesen Rückstand jetzt Schritt für Schritt auf. Behördendienstleistungen sind letztlich auch Transaktionen, und dafür müssen wir die passenden Plattformen schaffen.

 

Welchen Nutzen sehen Sie in der Digitalisierung?

Digitalisierung ist für mich ein gesellschaftliches Phänomen wie einst die Elektrifizierung. Sie bietet enorme Möglichkeiten, verlangt aber nach Steuerung. Ihr Nutzen liegt darin, dass sie uns assistiert – im Beruf wie im Alltag. Wenn sie Prozesse beschleunigt, Routinen vereinfacht und Freiräume schafft, erfüllt sie ihren Zweck. Digitalisierung sollte immer ein Mittel sein, kein Ziel an sich.

 

Was sind die Erfolgsfaktoren im Kanton Thurgau, damit Digitalisierung gelingt?

Ein wesentlicher Schritt war die Gründung des Kompetenzzentrums Digitale Verwaltung. Es ist im Amt für Informatik verankert, wirkt aber lateral in alle Ämter. Damit können wir Fachabteilungen gezielt unterstützen, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Übergreifende Projekte wie der digitale Arbeitsplatz auf Basis von M365 oder der neue Webauftritt werden kantonsweit koordiniert – so schaffen wir Effizienz und Einheitlichkeit. Wir befinden uns in einer Startphase, in der wir viel Basisarbeit leisten. Digitalisierung bedeutet immer Transition – also Veränderung. Unsere Abteilung kann hier eine wichtige Rolle übernehmen, weil wir verwaltungsübergreifend denken und handeln. So unterstützen wir etwa das Veterinäramt, das Amt für Gesundheit oder die Steuerverwaltung bei der Umsetzung digitaler Lösungen.

 

Wie sieht E-Government im Kanton Thurgau im Jahr 2040 aus?

Ich gehe davon aus, dass sich die E-ID bis dahin etabliert hat. Mindestens 90 Prozent der Behördendienstleistungen werden dann digital, medienbruchfrei und rechtssicher verfügbar sein. Unser Ziel ist das Once-Only-Prinzip: Bürgerinnen und Bürger sollen Daten nur einmal angeben müssen – danach stehen sie verwaltungsweit sicher zur Verfügung.

 

Was muss immer analog bleiben?

Digitalisierung darf nicht heissen, dass alle gleich ticken müssen. Es wird weiterhin Menschen geben, die den persönlichen Kontakt bevorzugen – und diesen Zugang müssen wir gewährleisten. In manchen Situationen ersetzt kein Bildschirm das direkte Gespräch, etwa wenn eine Behörde eine Lebenssituation beurteilen muss. Nutzerzentrierung bedeutet für mich, beides zu ermöglichen: digital, wo sinnvoll – analog, wo nötig.