«Was künstliche Intelligenz heute schon kann, ist beeindruckend», sagt Samuel Oehler. «Gut möglich, dass ChatGPT oder DALL-E zukünftig einen Teil meiner Arbeit als Mediamatiker ersetzen werden.» Angst vor diesen Computerprogrammen, die mit wenigen Anweisungen Texte und Bilder generieren, hat er deswegen aber nicht. Im Sommer 2023 schliesst der 19-Jährige seine Mediamatikerlehre bei der Zürcher Stadtverwaltung ab. Als Digital Native sehe er die Digitalisierung und damit künstliche Intelligenz als Chance. «Man sollte digitale Tools zu seinem Vorteil nutzen und gleichzeitig nicht voll auf ihre Resultate vertrauen.» Künstliche Intelligenz könne eher monotone Arbeiten übernehmen – Daten strukturieren zum Beispiel – und so den Menschen mehr Zeit für wirklich kreative und konzeptionelle Aufgaben verschaffen. «Und noch können auch die besten KI-Anwendungen nicht so kreativ und vielseitig wie wir Menschen denken.»
Auch Stadtverwaltung bekam Digitalisierungsschub Kreativ und vielseitig – das ist auch sein Beruf als Mediamatiker. Im letzten Jahr seiner Lehre arbeitet er aktuell im Human Resources Management der Stadt Zürich (HRZ) im Quartier Enge. Dort gestaltet er beispielsweise Flyer, Poster und Inserate, die zukünftige Arbeitnehmende ansprechen sollen. Gleichzeitig verfasst er Social-Media-Posts, entwirft Websites, gestaltet Messestände und macht für Kampagnen auch selbst Videos und Fotos. Seine Gestaltungsarbeit hat das Ziel, die Stadt Zürich als «attraktivste Arbeitgeberin der öffentlichen Verwaltung» zu zeigen. So steht es auf dem Plakat, das hinter Oehlers Büroplatz hängt und unter dem Titel «Gestalten für Zürich» die Vision des HRZ formuliert.
Bei der Zürcher Stadtverwaltung arbeiten aktuell rund 30 000 Mitarbeitende; 1400 Lernende werden in 50 verschiedenen Berufen ausgebildet. Diese Mitarbeitenden und Lernenden erledigen nicht nur klassische Verwaltungsaufgaben, sondern betreiben auch zwei Spitäler, die Wasser- und Stromversorgung und die städtischen Tram- und Buslinien – ein riesiger, komplexer Betrieb. «Es gibt das Klischee, dass die Stadtverwaltung unter anderem wegen ihrer Grösse verstaubt und langsam sei. Aber Corona hat auch uns einen Digitalisierungsschub gegeben», sagt Oehler. Heute seien etwa die digitale Unterschrift und die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten in einer Cloud in der Verwaltung weit verbreitet.
Mediamatiker – vielseitig, digital und analog
Mediamatiker:innen erfüllen Aufgaben in der Gestaltung, im Design, im Marketing, in der Kommunikation und in der Projektarbeit. Sie gestalten beispielsweise Flyer, Präsentationen oder Websites, fotografieren und filmen, bearbeiten Bild-, Video- und Audiodateien und binden diese in Kommunikationsmittel ein. Der Beruf erfordert ein Interesse an digitalen Technologien und multimedialen Inhalten genauso wie Sprachgewandtheit und Kommunikationsfähigkeit.
Die Stadt Zürich bildet aktuell 1400 Lernende in über 50 Berufen aus. Davon sind 12 Mediamatik-Lernende, zwei weitere Mediamatik-Lernende arbeiten beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz). Die 12 Lernenden in der Stadtverwaltung wechseln jährlich nach dem Rotationsprinzip in eine andere Dienstabteilung. Das erste Basislehrjahr absolvieren die jungen Frauen und Männer im Zürcher Lehrbetriebsverband IT. In diesem Jahr lernen sie die Grundkompetenzen ihres Berufs, die sie danach in der Praxis anwenden können.
«Administratives ohne Papier schneller erledigen»
Jedes Lehrjahr absolviert Oehler in einer anderen Abteilung der Stadtverwaltung. Im zweiten Lehrjahr bekam er Einsicht in die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Dort drehte er beispielsweise Lehrvideos für die Schulung von Mitarbeitenden in Sicherheitsfragen. «So schauen Teilnehmende von Weiter- und Ausbildungen zuvor diese Videos und kommen dann besser vorbereitet in den eigentlichen Kurs», sagt er.
Das dritte Lehrjahr verbrachte Oehler in der Abteilung Organisation und Informatik (OIZ). In dieser unterstützen 430 Mitarbeitende «die Departemente und Dienstabteilungen bei der digitalen Transformation», wie es auf der OIZ-Webseite heisst. «Tatsächlich stand bei der OIZ die Digitalisierung verschiedenster Prozesse im Zentrum», sagt Oehler. Er selbst wohnt nicht in Zürich, «doch so, wie ich es wahrnehme, macht die Stadt viel, um den Bewohner:innen digitale Dienstleistungen zugänglich zu machen». Angebote wie «Mein Konto» – ein Zugang zu verschiedenen städtischen Diensten – machten es möglich, sich beispielsweise online für städtische Wohnungen oder Arbeitsstellen zu bewerben oder die Steuern digital einzureichen. «Das bildet die heutige Realität ab, in der Papier immer mehr verschwindet. Gleichzeitig erleichtert es administrative Dinge, die so vielleicht ein wenig angenehmer und schneller erledigt sind», sagt Oehler.
Freies Gestalten als Ziel
Digital bewerben – das möchte sich Oehler auch nach Abschluss seiner Lehre. «Die URL meiner persönlichen Website ist reserviert, viel mehr habe ich aber noch nicht gemacht», sagt er und lacht. Seine Arbeit als Mediamatiker mache es möglich, dass er wisse, wie man eine eigene Website erstellt und Elemente dafür gestaltet. «Die Ausbildung in meiner Lehre ist sehr breit und gibt mir
verschiedene digitale Fähigkeiten mit.» Im ersten Lehrjahr war er nicht in eine städtische Dienstabteilung eingebunden, sondern konnte sich die Designprogramme des Softwareherstellers Adobe aneignen. «Wir haben uns dabei weniger am grafischen Erscheinungsbild der Stadt Zürich orientiert, sondern haben vieles ausprobiert.» Dieses freie Gestalten habe ihm gefallen. Langfristig sehe er sich darum weniger in der Stadtverwaltung. Vielmehr möchte er als Designer für verschiedenste Kunden Projekte umsetzen, beispielsweise in einer Kommunikationsagentur. Ein erster Schritt dafür wäre für ihn der Besuch des Studiengangs «Visual Communication» an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). «Um mich für diesen bewerben zu können, muss ich mir allerdings zuerst ein breites Portfolio an Grafiken, Illustrationen und Fotografien erarbeiten.» Aktuell plant er, nach seiner Lehre ein Berufserfahrungsjahr bei der Stadtverwaltung zu absolvieren
und am Wochenende an seinem Portfolio zu feilen – mit digitalen und analogen Medien.
Neben seiner Arbeit wirkt Oehler schon heute kreativ: Er erstellt 3-D-Objekte am Computer und fotografiert. Mit Zeichnungen und aus Ton geformten Objekten sucht er den Ausgleich in der realen Welt. «Dieser ist wichtig für mich. Ich merke manchmal, dass ich zu sehr ins Digitale abtauche.» Er habe auch schon die Instagram-App von seinem Smartphone gelöscht, weil er gemerkt habe, dass er zu viel Zeit auf der Plattform verbringe. «Viele Menschen leben stark in ihrer digitalen Bubble. Es ist einfacher, in dieser zu verweilen und mit Freunden zu chatten, statt sich real zu treffen.» Corona habe das noch verstärkt.
Auf Papier neue Aspekte erkennen
Ausgleich zur digitalen Welt hat Oehler auch bei seiner Arbeit: Diese findet zwar weitgehend am Computer statt, doch produziert werden oft Printprodukte wie Plakate oder Flyer. Sowieso drucke er sich gestaltete Inhalte oft aus. Und auch seine To-do-Liste oder ein Brainstorming für ein neues Projekt macht Oehler gerne von Hand auf Papier. «Durch den Wechsel auf ein anderes, nicht digitales Medium erkenne ich oft neue Aspekte.» Die Ideen für Samuel Oehlers Projekte in der Stadtverwaltung kommen in der Regel nicht von ihm selbst, sondern von anderen HRZ-Mitarbeitenden oder einer städtischen Dienstabteilung. «Meine Aufgabe ist es, diese Ideen in eine
möglichst gute Form zu giessen. Ich finde es eine schöne Herausforderung, dem Ideengeber eine möglichst gut verständliche Umsetzung zu präsentieren.» Und auch wenn er nicht am Ursprung eines Produktes gestanden habe, so freue er sich doch, wenn er beispielsweise ein von ihm gestaltetes Plakat in der Stadt sehe. «Gerade Plakate sind ein gutes Beispiel, wie Gedrucktes und Digitales sich ergänzen. Plakate sind unveränderbar – sie müssen so gestaltet sein, dass ihre Botschaft auf einen Blick klar erkennbar ist.» Er denke darum, dass Papier am richtigen Ort noch länger einen Platz in der Kommunikation der Verwaltung haben werde. «Aber klar, mit der Digitalisierung verschwindet auch viel Papier, dem ich nicht nachtrauere.»