Vor ein paar Jahren schreckten Vorhersagen zur Automatisierbarkeit menschlicher Arbeit die ganze Welt auf. Heute, mit Covid-19, wissen wir, dass Hindernisse für flexibles Arbeiten «anytime anyplace» sehr schnell überwunden sind, wenn es sein muss, und dass Technologie die virtuelle Zusammenarbeit gut unterstützen kann. Die Pandemie fördert aber auch Bestrebungen, den menschlichen Anteil an Arbeitsprozessen weiter einzuschränken, um die Abhängigkeit vom Menschen in diesen Prozessen zu verringern. Damit öffnet sich ein grosses Feld an Optionen, wie Arbeit zukünftig gestaltet sein wird: Welche Aufgaben werden noch oder neu von Menschen übernommen? Wo, wann und wie arbeiten Menschen zusammen?
«Systemrelevante» Arbeit besser gestalten
Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass sogenannt systemrelevante Aufgaben vor allem schlecht bezahlte und sozial wenig anerkannte Berufsgruppen ohne oder mit wenig Wahlmöglichkeiten bezüglich Arbeitsort und -zeit erledigen. Detailhandel, Müllabfuhr und Altenpflege gehören dazu. Manche Aufgaben könnten in absehbarer Zeit von technischen Systemen übernommen werden. Bei vielen anderen ist der zwischenmenschliche Kontakt zentral. Sie stehen weit unten auf der Liste des Automationspotenzials. Das sind gute und schlechte Nachrichten
zugleich. Wenn ohne klare soziale Vision automatisiert wird, was automatisiert werden kann, gehen Arbeitsplätze verloren, ohne dass die Chance für bessere Arbeitsgestaltung genutzt wird. Wenn wir aber Menschen, die zentrale Aufgaben für die Gesellschaft erfüllen, angemessen entlöhnen und ihnen bestmögliche Arbeitsbedingungen und technische Unterstützung bieten, kommen wir einen grossen Schritt in Richtung menschenwürdiger Arbeit weiter.
Die Effizienzfalle vermeiden
Als wir zu vorpandemischen Zeiten unsere Arbeitgeber von mehr Wahlmöglichkeiten bezüglich Arbeitszeit und -ort überzeugen wollten, argumentierten wir mit grösserer Effizienz des Arbeitens zu Hause. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass dieses Argument den Tatsachen entspricht – wenn nicht andere Anforderungen wie Unterricht zu Hause oder Platznot an den Kräften zehren. Auch virtuelle Sitzungen werden als besonders effizient gelobt. Effizienz ist jedoch nicht alles. Gute Arbeitsleistung und Wohlbefinden speisen sich auch aus Smalltalk, sozialem Zusammenhalt und gemeinsamem Lernen aus Irrungen und Wirrungen. Virtuelle Kaffeepausen können das nur bedingt bieten. Da anzunehmen ist, dass auch ohne Pandemien immer mehr Menschen miteinander arbeiten werden, die sich nur selten oder gar nie persönlich begegnen, ist hier technologische Innovation besonders gefragt.
Gastkolumnen im Abraxas Magazin
Das Abraxas Magazin lädt Gastautor/-innen dazu ein, pointiert zu Aspekten der Digitalisierung Stellung zu nehmen. Die Texte geben die Ansichten und Meinungen der Autor/-innen wieder und können von der Position von Abraxas abweichen.
Über Prof. Dr. Gudela Grote
Prof. Dr. Gudela Grote lehrt und forscht an der ETH Zürich. Die Arbeitsund Organisationspsychologin beschäftigt sich schon lange mit der Frage nach neuen Arbeitsmodellen. Bereits 2011 hat sie als Herausgeberin des Whitepapers «Work anywhere – zwischen Produktivität und Lebensqualität» zu Herausforderungen und Chancen von flexiblem Arbeiten publiziert.