Wenn man IT-Projekte gut vorbereitet und organisiert, gelingen sie – es ist nie eine Frage der Technik», sagt der langjährige Chef der Informatikdienste. Nun geht er mit «einem sehr guten Gefühl» in Pension. Er sei jeden Tag gerne zur Arbeit gegangen, erzählt Hans Vetsch in seinem Büro hoch über den Gleisen am Bahnhof St. Gallen. Er schwärmt von der Vielseitigkeit, die seine Tätigkeit in der Verwaltung mit sich bringt. «Wir decken von der Geburt bis zum Tod alle Bereiche des Lebens ab.» 1986 ist der Wirtschaftsinformatiker im Personalamt der Stadt eingestiegen. Er hat Abläufe und Prozesse verbessert sowie flachere Hierarchien eingeführt. Eines der ersten IT-Projekte bestand darin, den Umgang mit Personendaten zu automatisieren. Vetsch spricht von einem «Highlight», das ihn viel Überzeugungsarbeit gekostet habe. Heute werden alle personenbezogenen Daten automatisiert über eine zentrale Drehscheibe verarbeitet und sämtliche städtischen Dienste damit bedient. «Das ist wesentlich effizienter, günstiger, schneller und weniger fehleranfällig, als die Daten immer wieder neu zu erfassen.»
Immer wieder in der Pionierrolle
Hans Vetsch hat die Digitalisierung in der Stadtverwaltung stark geprägt. Als der Bedarf an digitalen Lösungen Ende der 90er-Jahre rasant stieg, baute er die Dienststelle Informatikdienste (IDS) auf. Er steht ihr seit Beginn im Jahr 2001 vor und führt aktuell 53 Mitarbeitende, Lernende sowie Praktikantinnen und Praktikanten. St.Gallen sei in Sachen E-Government schon immer visionär gewesen, sagt der 63-Jährige. Dies habe unter anderem mit der Nähe zur Universität St.Gallen (HSG) zu tun, von der auch immer wieder
Absolventinnen und Absolventen zur öffentlichen Hand wechselten. «Wir waren oft Pioniere», so der Chefbeamte.
Die Technik spielt nur eine kleine Rolle
«Es ist unglaublich, wie die Digitalisierung während meiner beruflichen Laufbahn vorangeschritten ist», fährt er fort. Sie sei stets mit Ängsten verbunden. Mitarbeitende fürchteten, wegen digitaler Optimierungen ihren Job zu verlieren. Bürgerinnen und Bürger hätten etwa Bedenken bezüglich der Datensicherheit. «Bei IT-Projekten geht es nur zu etwa 10 Prozent um Technik – der Rest ist Soziologie.» Hans Vetsch musste für seine Vorhaben immer wieder hinstehen, intern und extern. Er hat sich für Parlamentsvorlagen engagiert und ist mehrfach «in die Höhle des Löwen gegangen», wie er es formuliert. «Ich hörte von Kollegen ein paar Mal: ‹Das wird dich den Kopf kosten.›» Von solchen Warnungen liess sich der ehemalige Leichtathlet aber nicht beirren. Wie einst auf der Tartanbahn ist er «immer an den Start gegangen, um zu siegen».
Tatsächlich konnte er in den letzten 37 Jahren viele seiner Ideen umsetzen und die Integration der IT vorantreiben. Er hat zum Beispiel die Informatik dreier Schulkreise – mit unterschiedlichen Standorten und Technikteams – miteinander verschmolzen. So konnte er die Einkaufskonditionen verbessern und deutlich Kosten sparen. In den IDS hat er Benchmarking eingeführt. Das heisst, er hat Prozesse und Dienstleistungen kontinuierlich auf ihre Wirtschaftlichkeit extern überprüfen lassen. In politischen Diskussionen konnte er entsprechend argumentieren. Andere Verwaltungen haben dies inzwischen übernommen. Hans Vetsch hat regelmässige Treffen mit den IT-Verantwortlichen anderer Städte angeregt. Er sah in ihnen keine Konkurrenten, sondern Kollegen. Daraus ist das City-Network der neun grössten Deutschschweizer Städte entstanden.
Vorgeschichte und Zusammenarbeit
1973 rief die Stadt mit kommunalen Partnern die VRSG (Verwaltungsrechenzentrum AG St. Gallen) ins Leben, in der rund 260 Gemeinden zusammenarbeiteten. Zentrale Applikationen werden seither gemeinsam entwickelt. 2018 fusionierte die VRSG mit Abraxas. 50 Jahre VRSG, 5 Jahre Fusion – auch diese beiden Jahrestage schwingen beim 25-Jahr-Jubiläum von Abraxas mit.
In einem Kunden-Beirat können die Beteiligten ihre Anliegen direkt einbringen. Dies sei sehr wertvoll, betont Hans Vetsch. Im Gremium werde «Klartext gesprochen». St.Gallen hat nebst den zentralen Abraxas-Fachlösungen weitere 125 Fachapplikationen in Betrieb, um die 40 Dienststellen zu unterstützen. «Das ist ein grosser Spagat», so der IDS-Leiter.
Über Textilien zur IT gelangt
Ursprünglich hat der Chefbeamte Textilkaufmann gelernt. Er absolvierte die Schweizerische Textilfachschule in St. Gallen, arbeitete bei der Bischoff Textil AG und bei der Christian Fischbacher AG. Noch heute fasziniert ihn die Branche, die stets ein Jahr vorausdenken und rasch auf Trends reagieren muss. «Bei jeder Tätigkeit hat man ein Stück Stoff in der Hand», sagt er. «Das gefiel mir.» In seiner Freizeit beschäftigte er sich schon als junger Mann gerne mit dem Computer. Bei Fischbacher tat er dies zunehmend auch beruflich. «Wir digitalisierten den gesamten Warenfluss und waren die Ersten mit einem computergesteuerten Hochregallager.»
Was das E-Government betrifft, liess sich Hans Vetsch unter anderem von Österreich inspirieren. «Das Land ist früh vorangegangen.» Es habe einzelne Software-Lösungen zentral entwickelt, was sich als Vorteil erwies. Der Schweizer Föderalismus bremse die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung hingegen aus: «Es macht Sinn, gewisse Applikationen top down umzusetzen.» Gleichzeitig betont der IT-Experte den Stellenwert der Städte und Gemeinden. Ihre Stimme müsse Gewicht haben. «Hier treffen die Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung aufeinander.»
Der Nachfolger wird «kein einziges Sandkorn im Getriebe vorfinden»
In St. Gallen sind heute sämtliche Amtshandlungen digitalisiert. Alle nicht sensitiven Verwaltungsdaten sind in der Cloud gespeichert. «Wir stehen zusammen mit der Stadt Zürich an der Spitze», sagt der IDS-Leiter zufrieden. Ende November geht er mit dem «sehr guten Gefühl, einiges bewirkt zu haben» in Pension. Sein bisheriger Stellvertreter Sven Ihl wird seine Nachfolge antreten. Ihl werde «kein einziges Sandkorn im Getriebe» vorfinden, verspricht Vetsch. Er freut sich darauf, mehr Zeit für seine Familie, die zwei Enkelkinder, die Arbeit im Rebberg, das Fliegenfischen, Motorradfahren sowie Italien-Reisen zu haben. Die Digitalisierungsprojekte der Stadt und des Kantons wird er auch aus der Ferne interessiert verfolgen. Privat sei er nicht besonders digital unterwegs, sagt der baldige Pensionär abschliessend: «Ein Otto Normalverbraucher.»
Über Eveline Rutz
Eveline Rutz ist freie Journalistin. Sie schreibt vor allem über politische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Themen.