«Erst denken, dann digitalisieren!»

Michel Huissoud, ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle erläutert, welche Erkenntnisse er zur Digitalisierung der Bundesverwaltung zieht und was sich seiner Meinung nach ändern müsste.

Von Marcel Gamma · 22. November 2023

Es braucht einen Champion der Transformation. Michel Huissoud

Einer der mächtigsten Männer im Bundeshaus, scharfsichtig, Mister Transparenz: so wurde Michel Huissoud als Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) charakterisiert. Nun ist er pensioniert, aber die Digitalisierung der Verwaltung lässt ihn nicht los. Im Gegenteil.

Michel Huissoud, 65: 8 Jahre Direktor der EFK, seit 2022 im Ruhestand, Jurist. VRP der digitalen Zeitschrift «Republik», Kolumnist beim «Beobachter» und bei «Heidi.News», Mit-Initiator der Volksinitiative «Update Schweiz», die eine Totalrevision der Bundesverfassung fordert.

Was die Transformation bremst

Vier Faktoren, welche die digitale Transformation der Bundesverwaltung negativ prägen, macht er aus: das Beschaffungsrecht, das Legalitätsprinzip und der Datenschutz; zudem sei «Digital only unmöglich, der Papierweg muss offenbleiben», erklärt er. Manches könnten Projektverantwortliche anstossen, um Effizienzsteigerungen zu erzielen. «Sie stellen Geschäftsprozesse nicht infrage und lassen sich von Verordnungen leiten. Wenn man mehr Effizienz will, sollte man zuerst die Geschäftsprozesse überdenken, dann die Verordnungen anpassen und erst dann digitalisieren.» Eine Ausnahme kann er nennen: Im Transformationsprogramm DaziT des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) sei es gelungen, im Kern sehr ähnliche, aber früher von diversen Ämtern selbstständig abgewickelte, historisch gewachsene Prozesse zu standardisieren. «Das finde ich genial!» Man habe, lobt er mit Verweis auf den EFK-Bericht, eine der «Haupthürden agil geführter Digitalisierungsvorhaben, die nötigen Rechtsanpassungen, frühzeitig erkannt und bearbeitet».

Als erfolgreich umgesetzte Effizienzsteigerungen beim Bund wertet er auch den
Standardarbeitsplatz und die kürzliche Umsetzung von «SUPERB», die Modernisierung von Support- und Geschäftsprozessen der zivilen Bundesverwaltung, auch wenn neue SAP-Lösungen die Harmonisierung «erzwungen» hätten.

Aber nicht nur Verordnungen oder Technologie-Vorgaben bremsen oder verhindern die digitale Transformation. Es gebe nach wie vor viele Silos, auch im Bundesrat. Und diese könnten sogar gefährlich sein – bei der Cybersicherheit nämlich. «Das Nationale Zentrum für Cybersicherheit NCSC ist zahnlos. Es müsste ein Aufsichts- und Krisenorgan mit Kontroll- und Sanktionsrechten werden!» Hingegen scheine die IT-Security im Verwaltungsalltag bis anhin zu funktionieren.

COO als Silo-Brecher

Was tun? Würde ein Bundes-CIO – ein Chief Information Officer – wie in Estland etwas ändern? Huissoud winkt ab. «Es braucht einen Chief Organisation Officer mit einer eigenen Organisation, der die Geschäftsprozesse im Auge behält und die übergreifende Zusammenarbeit vorantreibt. Heute hat niemand als Champion der Transformation das Sagen.»

Als Zweites würde er beim COO einen Rechtsdienst ansiedeln, um Verordnungsanpassungen «durchzuboxen». Und man könnte Silos aufbrechen, indem man eine Fachkarriere über Bundesämter hinweg fördere und damit den Informations- und Erfahrungsfluss zwischen diesen. Zudem fehlten in den Ämtern die Businessanalysten, welche Fach- in Informatikwissen übersetzen können. Klingt hier Pessimismus an? «Ein bisschen. Die Verwaltung lagert diese zentrale Aufgabe leider zu oft aus.»

Neue Bundesverfassung als Basis

Unabhängig davon, so glaubt Huissoud, benötige die Schweiz in Zeiten der digitalen Transformation eine Totalrevision der Bundesverfassung. «Als die Schweiz im Jahr 1999 über die letzte Totalrevision abstimmte, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen.» Hat er konkrete Beispiele? Hat er. Es seien verbindliche nationale Daten- und Schnittstellen-Standards zu etablieren. «Solche Kompetenzen bekommt der Bund aber nur, wenn die Verfassung angepasst wird.» Dasselbe gelte zum Beispiel beim elektronischen Patientendossier. «Da brauchen wir eine einzige funktionierende Lösung statt des heutigen Patchworks», erklärt er eloquent und dynamisch wie eh und je. Huissoud ist nicht pensioniert, er hat für sich eine neue Rolle ausserhalb der Verwaltung erfunden: als nationaler Digitalisierungsforderer.

Marcel Gamma

Über Marcel Gamma

Marcel Gamma arbeitet seit seiner Webmaster-Ausbildung 1998 praktisch ausschliesslich im Bereich IT- und Online-Kommunikation. Er ist Senior Communication Manager bei Abraxas. Zuletzt war er 5 Jahre Chefredaktor von inside-it.ch und inside-channels.ch, davor Kommunikationsverantwortlicher des Verbands swissICT, Ressortleiter der Aargauer Zeitung, Consultant bei einer Full-Service-Webagentur und Content Coordinator und Online-Journalist bei bluewin.ch.