Artikel-Serie über kulturelle Transformation
Warum die Psychologie den digitalen Wandel in Schweizer Verwaltungen entscheidet – und was Verantwortliche dazu sagen.
Die Schweiz liegt zwar bei messbaren Governance-Kriterien wie Verwaltungstransparenz und E-Partizipation im oberen Segment. Doch bei der Digitalisierung tut sich die öffentliche Hand oft schwer. Zwar existieren Strategien wie die «Digitale Verwaltung Schweiz» oder kantonale Initiativen, doch Föderalismus, unterschiedliche IT-Standards und eine starke Betonung auf Stabilität führen dazu, dass digitale Projekte nur langsam Fahrt aufnehmen. Ein weiteres Hindernis liegt in der menschlichen Dimension. Eine Beratungsstudie von McKinsey (2021) zeigte etwa, dass weltweit fast 70 Prozent der digitalen Transformationsprojekte primär wegen kultureller und psychologischer Widerstände scheitern. Mitarbeitende halten an gewohnten Abläufen fest, befürchten Kompetenzverluste oder sehen in digitalen Tools zusätzliche Be- statt Entlastung.
Wandel beginnt im Kopf
Strategien sind da, Technologien verfügbar, aber der entscheidende Faktor bleibt der Mensch. Denn: Change beginnt im Kopf. Digitale Transformation ist weniger eine technische als eine psychologische und kulturelle Herausforderung – geprägt von Emotionen, Gewohnheiten, Werten und der Frage nach Sinn. Um zu verstehen, wie Verwaltungen in der Schweiz diesen Wandel meistern, kommen Verantwortliche direkt zu Wort. Ihre Antworten sind entlang von drei Schlüsselfragen strukturiert:
1. Warum müssen Verwaltungen jetzt handeln?
2. Wie gelingt der Wandel?
3. Wohin führt der Wandel?
Jede Frage wird sowohl wissenschaftlich als auch praktisch beleuchtet: Psychologische Modelle erklären, warum Menschen auf Veränderungen reagieren, wie Motivation wächst und wie Zukunftsbilder Orientierung geben. Die Stimmen aus der Verwaltung zeigen, wie diese Prinzipien in der Realität umgesetzt werden. So entsteht ein Gesamtbild: Digitalisierung in der Verwaltung gelingt, wenn mentale Hürden beachtet und psychologische Chancen genutzt werden – nicht als Nebenschauplatz, sondern als Fundament der Transformation.
Wohin führt der Wandel?
Veränderung wird tragfähig, wenn sie Sinn stiftet. Der Ansatz des Meaning-Making besagt, dass Menschen Wandel nur dann verinnerlichen, wenn er mit einer nachvollziehbaren Zukunftsperspektive verknüpft ist. Er wurzelt im praktischen Schaffen und Erfinden, wie es durch Dale Dougherty, dem Begründer der Maker-Bewegung im pädagogischen Kontext gefördert wird.
Maker-Mindset (Macherdenkweise) nach Dale Dougherty
Partizipation schafft Vertrauen, Sinn und Beteiligung geben Halt: Forschungen zeigen, dass Menschen Wandel eher akzeptieren, wenn sie den Sinn erkennen und einbezogen werden. Sinnstiftung + Beteiligung = Akzeptanz und Nachhaltigkeit.
Andreas Németh vom OIZ sieht entsprechend die digitale Transformation als langfristigen Lernprozess. Mit einer rollierenden Umsetzungsplanung bleibe man flexibel und passe Prioritäten laufend an. «Wandel wird zur Normalität. Wir bauen eine Kultur des Lernens, der Vernetzung und des verantwortungsvollen Technologieeinsatzes auf», sagt Németh. Ziel sei eine gestaltende Verwaltung, die einfach, sicher und wirksam für die Bevölkerung da ist und zugleich ein Ort sei, an dem Innovation wachsen kann.
Für Barbara Berger von Informatik Schaffhausen führt der Wandel konsequent in Richtung einer service- und prozessorientierten Leistungserbringung mit klarer Kundenfokussierung. «Unser Ziel ist es, die ITSH als Business-Partner für Kanton, Stadt und Gemeinden sowie die Digitale Verwaltung Schaffhausen zu etablieren.» Ein zentraler nächster Schritt sei die Reorganisation der ITSH, die bis Juni 2026 abgeschlossen sein werde. Sie umfasst Workshops mit der Geschäftsleitung, je einem Kern- und Referenzteam sowie Sensibilisierungsformate für alle Mitarbeitenden. «Wir werden bestehende Strukturen überdenken und neue Formen der Zusammenarbeit etablieren mit Fokus auf Kundenorientierung, Effizienz und Transparenz.» Ausserdem seien im Bereich Digitalisierung wichtige Schritte im Rahmen von Impulsprogrammen sowie ein umfassendes Ausbildungsprogramm für die Mitarbeitenden zum Kompetenzausbau im Bereich KI geplant.
In der Stadt St. Gallen habe man eine klare Visionen, welche das digitale St.Gallen, die digitale Bildung, ICT-Sicherheit, Nachhaltigkeit, digitale Verwaltung und Arbeitsplatz sowie Cloud-Services umfasse, sagt CIO Sven Ihl, und betont: «All diese Entwicklungen werden nur erfolgreich sein, wenn wir unsere Mitarbeitenden aktiv miteinbeziehen, kontinuierlich deren Kompetenzen fördern und deren Einflüsse auf die Verwaltungskultur im Auge behalten.» Die Herausforderungen der Technik bewerte er bei diesem anspruchsvollen Gesamtkonstrukt als einen der beherrschbareren Bausteine. «Im Fokus stehen für mich die Menschen sowie die Verwaltungskultur. Diesen gegenüber fühle ich mich bei meinem Handeln verantwortlich», so Ihl.
Übersetzt auf die Verwaltungen bedeutet Meaning-Making: Die nächsten Schritte der digitalen Transformation müssen Orientierung geben und zeigen, wie sie zu bürgernäheren, effizienteren und vertrauenswürdigen Dienstleistungen führt – und dass Mitarbeitende diesen Weg aktiv mitgestalten können.
«Wandel wird zur Normalität. Wir bauen eine Kultur des Lernens, der Vernetzung und des verantwortungsvollen Technologieeinsatzes auf.»
«Wir werden bestehende Strukturen überdenken und neue Formen der Zusammenarbeit etablieren mit Fokus auf Kundenorientierung, Effizienz und Transparenz.»
«All diese Entwicklungen werden nur erfolgreich sein, wenn wir unsere Mitarbeitenden aktiv miteinbeziehen, kontinuierlich deren Kompetenzen fördern und deren Einflüsse auf die Verwaltungskultur im Auge behalten.»
Fazit: Technologie allein genügt nicht
Die OECD warnte denn auch in ihren «Open Government»-Report bereits 2018, dass alleinige Investitionen in Technologie nicht genügen: Narrative, Sinnvermittlung und Partizipation sind zentrale Erfolgsfaktoren. Eine Studie der Hochschule für Verwaltung Zürich (2022) belegt dies empirisch: Mitarbeitende akzeptieren den digitalen Wandel vor allem dann, wenn sie ihn nachvollziehen, mitgestalten und im Alltag als echten Mehrwert erleben können. Die Schwierigkeit des digitalen Wandels lässt sich auf den Punkt bringen: Solange er primär eine Reihe technischer Projekte verstanden wird, bleiben Ergebnisse begrenzt. Erst wenn Ideen, Köpfe und Haltungen mitgenommen werden, kann aus Strategien gelebte Realität entstehen.
Über Markus Häfliger
Markus Häfliger ist Inhaber der auf Business-to-Business-IT spezialisierten PR-Agentur Häfliger Media Consulting. Er verfügt über jahrzehntelange Erfahrung mit Technologie- und Wirtschaftsthemen sowohl auf Agentur- als auch auf Medienseite. Er war Chefredaktor der IT-Branchenzeitschrift IT Reseller und von Infoweek (heute Swiss IT Magazine), der Zeitschrift für IT-Entscheider in Unternehmen. Er publiziert als Ghostwriter regelmässig in namhaften Industrie- und Wirtschaftsmedien Fachartikel und Berichte zu IT-Anwendungen in der Praxis. Für das Abraxas Magazin verfasst er als regelmässiger Autor u.a. Texte fürs digitale ABC, Leit- und Fachartikel.