Wandel braucht einen stabilen Rahmen

Die Schweiz und ihre Kantone haben sich nicht nur eine Digitalisierungsstrategie gegeben: ein gesetzlicher Rahmen entsteht. Dieser entwickelt sich in den Kantonen unterschiedlich. Es sind vier Stossrichtungen des gesetzlichen Wandels erkennbar.

Von Bruno Habegger · 29. September 2025

E-Government ist längst keine Informatikaufgabe mehr, sondern führt zu einem tiefgreifenden Wandel der Verwaltung und ihrer Beziehung zu anderen Staatsebenen und zum Einwohner bzw. zur Einwohnerin. Was vor einigen Jahren mit Digitalisierungsstrategien begann, vollzieht sich nun mit neuen gesetzlichen Grundlagen. Dabei gehen die Kantone unterschiedliche Wege.

Manche integrierten digitale Anforderungen und Grundsätze in die bestehenden Gesetze. «Digital first» zum Beispiel, die Pflicht der Verwaltung, grundsätzlich digital zu arbeiten. Dazu entstehen mancherorts Spezialgesetze zu E-Government oder spezifischen Themen. Dabei könnte die Übersicht verloren gehen.

Spezialgesetze oder Verwaltungsrecht?

Bereits 2019 beklagten Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Uni Zürich sowie Mitglied der Direktion des Zentrums für Demokratie Aarau, und der wissenschaftliche Mitarbeiter Marco Ehrat in einem Beitrag für die Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gesetzgebung (SGG) die Zersplitterung des Vorgehens und bemerkten: «Die zunehmende Verrechtlichung des E-Governments in Spezialerlassen verursacht erhebliche Auswirkungen auf die Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts.» Die Schlussfolgerung der Autoren, vereinfacht zusammengefasst: Die abschliessende und lückenlose Regelung eines Sachgebietes sorgt für Rechtssicherheit. Im Falle des E-Governments müsse man jedoch Abstriche in Kauf nehmen, weil sich das Thema schneller weiterentwickle, als der Gesetzgeber handeln könne. Dennoch sei die Integration ins normale Verfahrensrecht sinnvoll.

Kontext der gesetzlichen Entwicklung

Die digitale Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft schreitet seither voran, der Innovationsdruck auf die Prozesse steigt. Das ist in der Verwaltung nicht anders, wenn auch aufgrund des komplexen föderalen Staatswesens in langsamerem Tempo. Dennoch entwickelt sich nach den ersten Digitalstrategien nun auch die Gesetzgebung weiter, angetrieben von übergeordneten Entwicklungen.

So geben die «Leitlinien der Kantone zur Digitalen Verwaltung» aus dem Jahr 2018 die beiden übergeordneten Ziele vor, nämlich «Digital First» für Bevölkerung und Wirtschaft sowie eine durchgängige Digitalisierung innerhalb und zwischen den Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden zur Effizienz- und Qualitätssteigerung. Dafür sind laut den Leitlinien diverse Rechtsgrundlagen anzupassen oder neue zu schaffen. Eine weitere gesetzliche Grundlage bildet das neue Bundesgesetz über die Plattformen für die elektronische Kommunikation in der Justiz (BEKJ), das ein Obligatorium zur elektronischen Kommunikation für Behörden, Gerichte und Staats- und Anwaltschaft schafft – schrittweise führt es zum elektronischen Rechtsverkehr («Projekt Justitia 4.0»). Weiter schafft das seit 1. Januar 2024 geltende «Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG)» die Grundlagen für den digitalen Austausch.

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Vier Stossrichtungen des gesetzlichen Wandels

Patrick Bossy Delgado, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nationalen Zentrum des Instituts für Föderalismus der Universität Fribourg hat in einem Newsletter vom Sommer 2025 die Rechtsgrundlagen der Digitalisierung in den Kantonen zusammengetragen und dabei festgestellt: «Die Mehrheit der Kantone verfügt über oder setzt eine spezifische gesetzliche Regulierung, die unmittelbar der digitalen Transformation zugeordnet werden kann, in nächster Zeit in Kraft.»

Seine Untersuchung fördert zwei Hauptkategorien von Erlassen zutage: E-Government- und umfassende Digitalisierungsgesetzgebung. Erstere regelt vor allem die Kommunikation zwischen staatlichen Behörden und Privaten, zweitere enthält darüber hinaus weitere Regulierungsansätze. Besonders Zentral- und Ostschweizer Kantone verfolgten mit ihren Informatikgesetzgebungen einen anderen Weg und regelten grundlegende Elemente des digitalen Verwaltungsbetriebs. Aargau und Uri wiederum «scheinen die einzigen Kantone in der ganzen Schweiz zu sein, welche über keine spezifischen Erlasse zur digitalen Transformation verfügen», schreibt Delgado in seiner Analyse. Dennoch verfügten beide Kantone über ein E-Gov-Portal mit einer Vielzahl staatlicher Dienstleistungen. «Diese Kantone zeigen, dass es nicht zwangsläufig eine spezifische gesetzliche Regulierung braucht.»

Ein Befund, der Andreas Glasers Einschätzung von 2019 stützt. Auf Anfrage des Abraxas Magazins relativiert er sein Fazit von damals und sieht aufgrund der schnellen technischen Entwicklung einen allgemeinen Erlass mit Verordnungsermächtigungen an die Regierung als sinnvoll an, «zumindest für querschnittartige, technisch bedingte Fragen». Die Applikationen bräuchten jedoch eine Rechtsgrundlage. Genau so will der Kanton Zürich vorgehen (siehe Kasten). Das Verfahrensrecht müsse dadurch weniger geändert werden.

Rechtsanwalt Timur Acemoglu, der öffentliche Gemeinwesen in Fragen des E-Government-Rechts berät, sieht eine verstärkte Dynamik in der Gesetzgebung und «gewisse vereinheitlichende Tendenzen hin zu umfassenderen ‹E-Government-Gesetzen› oder ‹Gesetzen über digitale Verwaltung›.» Es bleibe aber eine vielschichtige Querschnittsmaterie mit verschiedenen Rechtsgrundlagen.

Beispiele von Rechtsgrundlagen in den Kantonen

Nachfolgend einige Beispiele von Kantonen und ihrer Umsetzung (Einteilung gemäss Bossy Delgado, siehe Hauptartikel).

Umfassende Digitalisierungsgesetzgebung (Kanton Zürich)

Hier sollen «Digitale Basisdienste» angeboten werden – ein einheitliches Set für alle Gemeinden und Einwohner:innen. Das «Gesetz über digitale Basisdienste» wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst. Es ermöglicht den weiteren Leistungsausbau der Verwaltung. Kritisiert wurde jedoch die Fokussierung auf Microsoft 365 – der Clouddienst wird rundweg abgelehnt. Das Gesetz dürfte nun im Laufe des Jahres 2026 im Kantonsrat behandelt werden. Vor kurzem kündigte der Regierungsrat an, für die Einführung der elektronischen Abwicklung von Verwaltungsverfahren mehr Zeit zu benötigen. Eine entsprechende Pflicht im Verwaltungsrechtspflegegesetz wird auf den 1. Januar 2027 verschoben. Es gebe noch zu viele offene Fragen «im technischen, organisatorischen sowie prozessualen Bereich». Die Revision ermöglicht rechtsgültige elektronische Eingaben und Mitteilung von Anordnungen der Behörden.

→ Ähnliches Vorgehen in Bern, Glarus, Graubünden, Wallis

Informatikgesetzgebung (Kanton Luzern)

Der Kanton Luzern entwickelt seine Gesetzgebung aus dem Informatikgesetz von 2005 heraus. Er modernisierte sein Verwaltungsrechtspflegegesetz und formulierte dazu passende Verordnungen. Eine konkretisiert beispielsweise die Anforderungen an die elektronische Übermittlung mit Anerkennung der Zustellplattformen und der elektronischen Signaturen sowie der Ausnahmemöglichkeiten. Ein neues E-Government-Gesetz – kürzlich wurde die Vernehmlassung abgeschlossen – soll die Rechtsgrundlage für einen Onlineschalter als zentralen Zugang, ein Identitätsverwaltungssystem und einen elektronischen Briefkasten für den Empfang von Mitteilungen der Verwaltung liefern. Die drei Basisdienste sowie «Digital first» als Grundsatz sollen im Kanton Luzern auf Gesetzesstufe verankert werden. Allerdings kam das Gesetz in der Vernehmlassung bei den Parteien nicht gut an – es sei nicht auf der Höhe der Zeit. Die Beratung im Kantonsrat erfolgt voraussichtlich im März 2026.

→ Ähnliches Vorgehen in Ob- und Nidwalden, Zug, Schaffhausen, Thurgau

E-Government-Gesetzgebung (Kanton St. Gallen)

Der Kanton St. Gallen ist einer der Pionierkantone im E-Government und wird beispielsweise nächstes Jahr ein erstes Pilotprojekt zu E-Collecting durchführen. Seit 2018 kennt er ein «Gesetz über E-Government», das die digitale Zusammenarbeit zwischen Kantonen und Gemeinden regelt und eine Rechtsgrundlage zum Betrieb eines elektronischen Behördenportals bietet. Das Verwaltungsrecht ermöglicht bereits elektronische Eingaben und Zustellung.

→ Ähnliches Vorgehen in Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell-Ausserrhoden, Waadt, Genf, Jura.

Keine separate Rechtsgrundlage (Kanton Aargau)

Der Kanton Aargau verfügte mit SmartAargau über eine Digitalisierungsstrategie, ein Verwaltungsrecht mit eingebetteten E-Gov-Vorschriften, jedoch nicht über spezielle Gesetze. Bereits stehen dennoch über das Smart Service Portal viele Dienstleistungen bereit. Auch werden Gemeinden mit dem Programm «Fit4Digital» vorangetrieben. Ein neuer Fachbereich digitale Transformation will die digitale Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinden vertiefen.

→ Ähnliches Vorgehen in Uri

Bruno Habegger

Über Bruno Habegger

Bruno Habegger ist Abraxas-Magazin-Autor und Senior Communication Manager. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im ICT- und Energie-Bereich als Journalist, Contentproduzent und Berater. Er war Präsident einer Regionalpartei und an seinem damaligen Wohnort acht Jahre Mitglied der Sicherheitskommission.