Venedig sieht sich schon lange mit den Herausforderungen des Massentourismus konfrontiert. Mit fast 30 Millionen Besucher:innen pro Jahr in einer Stadt mit nur 50’000 Einwohnenden stand die Lagunenstadt vor der Herausforderung, die Besucherströme zu kontrollieren und einen nachhaltigeren Tourismus zu fördern. Abhilfe schaffen soll ein aussergewöhnlicher «Smart Control Room».
In einem alten, seit den 1960ern leerstehenden Lagerhaus hat sich die Stadt eingerichtet. Das Gebäude verfügt über Räume für den Bürgermeister, verschiedene Verwaltungseinheiten sowie einen grossen Überwachungsraum mit Videofeeds aus der ganzen Stadt für die Polizei. So weit normal. Auf der anderen Seite des Gebäudes liegt hingegen ein weiterer Kontrollraum, der Venedig zur Muster-Smart-City macht.
Das «Gehirn der Stadt»
Zur Bewältigung der Touristenmassen hat Venedig einen smarten Kontrollraum eingeführt, der mithilfe modernster Technologie die Bewegungen der Touristen verfolgt und analysiert. Dieser Kontrollraum, der im September 2020 eröffnet wurde und als «Gehirn der Stadt» bezeichnet wird, überwacht nicht nur die Anzahl der Besucher:innen in verschiedenen Stadtteilen, sondern auch deren Herkunft und Bewegungsmuster.
Das Herzstück des Systems ist die Fähigkeit, die Daten von Mobiltelefonen der Besucher:innen zu nutzen, um festzustellen, aus welchem Land sie stammen und wohin sie in Venedig gehen. So kann im «Smart Control Room» präzise festgestellt werden, wie viele Einwohner:innen und Tourist:innen sich gerade an einem bestimmten Ort in der Stadt befinden. Dabei werden keine persönlichen Daten erfasst, sondern nur aggregierte Informationen verwendet, um das Besuchsverhalten zu verstehen und die Touristenströme zu lenken. Das System erfasst die Geschwindigkeit, mit der sich die Personen bewegen, und ist so in der Lage, verstopfte Gassen und Plätze schnell zu identifizieren.
Der Kontrollraum auf der Insel Tronchetto beherbergt eine beeindruckende Anzahl von Überwachungs- und Datenfeeds, deren Informationen und Daten in Echtzeit auf unzähligen Bildschirmen angezeigt werden. Ein Team von Expertinnen und Experten überwacht rund um die Uhr die Daten und greift bei Bedarf in die Steuerung des Tourismus ein.
Durch die Analyse dieser Daten können die Behörden nicht nur die Überfüllung in den Hotspots der Stadt, darunter der Markusplatz oder die Rialtobrücke, reduzieren, sondern auch die geplanten Eintrittsgebühren an Tagen mit besonders hohem Besucheraufkommen erheben. Dieser Ansatz zielt unter anderem darauf ab, die Lebensqualität der Einheimischen zu verbessern.
Verkehrs- und Umweltüberwachung
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Systems ist die Fähigkeit, den Verkehr in der Stadt zu überwachen und zu steuern. Dies umfasst nicht nur die Bewegungen der Fussgängerinnen und Fussgänger in der gesamten Stadt, sondern auch die Züge auf dem Damm und Busse sowie Autos auf dem Zubringer bis zur Piazzale Roma, ab der keine Autos mehr erlaubt sind.
Besonders im Fokus steht auch der Verkehr auf den Kanälen der Stadt. Gerade auf dem Canal Grande, der Pulsader des venezianischen Bootverkehrs, herrscht oftmals hoher Verkehrsdruck: öffentliche Wasserbusse, Lieferboote, Taxis, die berühmten Gondeln und Einheimische mit ihren Booten bewegen sich hier auf kleinstem Raum. Das System analysiert den Verkehr, kann die verschiedenen Arten von Booten erkennen und liefert Echtzeitinformationen zur Pünktlichkeit der Wasserbusse.
Auch die für die oft überflutete Stadt so wichtige Meereshöhe wird im Kontrollraum überwacht. Eine separate Zentrale im Arsenale kümmert sich derweil um den Einsatz des innovativen Hochwasserschutzes Mose. Ebenso gemessen und überwacht werden der Wasserfluss in den Kanälen sowie die Luftqualität im Stadtgebiet.
Nur der Anfang
In der Lagunenstadt ist das System, dessen Aufbaukosten bei rund 3 Millionen Euro lagen, seit 2020 in Betrieb. Aufgrund der Touristenmassen ist Venedig die ideale, wenn auch durch die Lage und den Fokus auf die Wasserwege etwas ungewöhnliche Versuchsstadt. Mit Florenz hat 2023 eine weitere italienische Touristendestination eine ähnliche Smart-City-Zentrale eingerichtet. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis andere Metropolen dem Beispiel folgen werden.