Automated Switzerland

Demokratie-as-a-Service: Ein solches Szenario halten Christian Ulbrich und Bruno Frey nach langjähriger Forschung möglich. In ihrem Buch «Automated Democracy» finden sich Rezepte für den nachhaltigen Wandel zum Dienstleistungsstaat.

Von Bruno Habegger · 1. Dezember 2025

Schon auf den ersten Seiten des mit vielen Beispielen aus der staatlichen Praxis gespickten Werks warnen Christian Ulbrich und Bruno Frey vor der digitalgestützten Diktatur, einem realistischen Szenario.

Im Jahr vor Trumps Machtergreifung, begünstigt durch soziale Medien und grosse Technologieplattformen, klingt es wie eine Warnung: «Unerbittliche digitale Dynamiken begünstigen autokratische Herrschaft». Der Grund liegt auf der Hand: Der digitale Kontrollapparat kostet weit weniger als der analoge. Die Grenzkosten machen die Diktatur erschwinglich und grösseren Gruppen zugänglich.

Dem Schreckensszenario stellen die Forscher ein erstrebenswertes entgegen: den digitalen Dienstleistungsstaat. Die sowieso unaufhaltsame Digitalisierung des Staats solle man nicht aufgeben, sondern die Demokratie mit gezielten Eingriffen resilienter gestalten.

Das Buch baut auf einem Forschungsprojekt der Universität Basel auf. (Abbildung: Herder / Collage Abraxas)

Disruption gefährdet Demokratie

Die aus der Privatwirtschaft bekannten digitalen Dynamiken spielen auch bei der Digitalisierung des Staates. Mit einigen Besonderheiten. So führen die oft zitierten Effizienzgewinne letztlich zu einer verstärkten Kontrolltätigkeit, schreiben die Forscher. Macht konzentriere sich in digitalen Systemen, die Gewaltenteilung werde untergraben und die «progressive Weiterentwicklung einer offenen Gesellschaft und ihrer Institutionen erschwert».

Die Autoren begrüssen die Digitalisierung, warnen aber vor einer «harten Zeit der Transformation». Würden aber jetzt die institutionellen Voraussetzungen für das dauerhafte Fortbestehen der demokratischen Institutionen in der digitalen Welt geschaffen, dann könne sich die Gesellschaft auf die Verheissungen eines fortschrittlichen digitalen Dienstleistungsstaats einlassen.

Massnahmen für den Wandel

Die Forscher empfehlen, Parlamente mit Technologie und Datenanalysefähigkeiten zu stärken und als Gegengewicht zur digitalen öffentlichen Verwaltung aufzubauen, um ihrem schleichenden Bedeutungsverlust im digitalen Staat entgegenzuwirken. Ebenso sollten Gerichte mit Technologie gestärkt werden, damit sie zu Urteilen befähigt werden, die vollständig digital zustande kommen.

Eine weitere Massnahme sei die Stärkung des Föderalismus durch dezentrale Digitalisierung, um zentrale Gatekeeper zu verhindern. Die Datenhaltung solle redundant ausgelegt werden, um den Einfluss einzelner Akteure zu begrenzen und Machtkonzentration zu verhindern. Digitale Souveränität kann laut den Autoren hergestellt werden, indem Informationssicherheit gestärkt und IT-Outsourcing mit Abhängigkeiten von wenigen Anbietern vermieden wird. Ulbrich und Frey sprechen hierbei von einem Balanceakt und stellen sich nicht gegen Outsourcing und proprietäre Software.

Besonders wichtig sei das Einhegen von Algorithmen durch den Einbau des Zufalls, die Definition menschlicher Hohheitsbereiche und die Organisation des künstlichen Vergessens. Das Problem der Algorithmen: Sie berechnen Vergangenheit. Dagegen helfe das zufällige Pausieren der Algorithmen, das Akzeptieren von «Fehlern» und Abweichungen.

Die Autoren propagieren «Durchsetzungslücken», denn: «Freiheit der Menschen basiert auch auf kollektiver beziehungsweise staatlicher Unwissenheit.» Ausserdem brauche es «analoge Enklaven», also Sperrzonen für Algorithmen. Das oft propagierte System des Human-in-the-Loop genügt den Autoren nicht, denn Menschen neigten dazu, KI-Vorschlägen zu folgen. Zudem reichen allgemeine Löschpflichten nicht länger, da immer umfangreicheres Trainingsmaterial verlangt wird und Daten in KI-Modellen und Risikomanagementsystemen weiterleben. Anders gesagt: Wer einmal einen Fehler macht, sollte nur einmal bestraft werden, nicht fürs ganze Leben.

Zwischen kulturellem Change und digitaler Transformation: Erfolgsfaktoren für die öffentliche Verwaltung.
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Langsamkeit als Chance

«Automated Democracy» zeigt uns den schmalen Grat zwischen Diktatur und Demokratie, auf dem wir alle bei der Digitalisierung der Schweiz wandeln. Beim Lesen wird klar, dass es nicht reicht, einfach Verwaltungsprozesse digital abzubilden – die Dynamiken der Digitalisierung wie Disruption, minimale Grenzkosten und Plattformenbildung müssen im Staat viel stärker kontrolliert werden. Dabei kommt uns die Langsamkeit der Demokratie zugute.

Eine starke automatisierte Demokratie sollte aus den Digitalisierungsfehlern der Wirtschaft lernen, die ihr 20 Jahre voraus ist, den disruptiven Wandel aber immer noch nicht abgeschlossen hat. Aus dem Mehr an Daten muss ein Mehr an Bürgerfreundlichkeit entstehen, was ein Neudenken der Institutionen und ihrer Beziehungen untereinander erfordert.

Demokratie ist ein Service, den der Staat künftig digital managen muss. Aber: «Der positive, dem Bürger dienende digitale Staat ist kein Selbstläufer», mahnen die Autoren. Das beweisen gerade die USA, eine der ältesten Demokratien der Neuzeit, in der laut unabhängigen US-Medien gerade eine massive Infrastruktur zur Überwachung von Social Media und Bürgerprotesten aufgebaut wird.

Transformation

Automated Democracy: Die Neuverteilung von Macht und Einfluss im digitalen Staat

Christian Ulbrich, Bruno Frey, 2024, Herder

The Road to Automated Democracy ist ein langjähriges Forschungsprojekt der Forschungsstelle für Digitalisierung in Staat und Verwaltung (e-PIAF) der Universität Basel. Es veröffentlicht regelmässig einen Monitor zum aktuellen Stand der Digitalisierung. Das besprochene Buch fasst die bisherigen Forschungsergebnisse zusammen.
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Transformation
Bruno Habegger

Über Bruno Habegger

Bruno Habegger ist Abraxas-Magazin-Autor und Senior Communication Manager. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im ICT- und Energie-Bereich als Journalist, Contentproduzent und Berater. Er war Präsident einer Regionalpartei und an seinem damaligen Wohnort acht Jahre Mitglied der Sicherheitskommission.