«Die digitale Demokratie hat funktioniert»

Digitalisierung soll den Menschen dienen – nicht umgekehrt. Das ist das Credo der Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Seit rund 20 Jahren beschäftigt sich die Ostschweizerin mit Internetpolitik und der Rolle der Digitalisierung in unserer Gesellschaft.

Von Sabrina Rohner und Florian Brunner · 11. Mai 2022

Edith Graf-Litscher im Nationalratssaal: Sie ist Co-Präsidentin von Parldigi – Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit (Bild: Florian Brunner)

«Willst du nicht etwas Sinnvolleres machen?» Diese Frage wurde Edith Graf-Litscher gestellt, nachdem sie 2005 in den Nationalrat gewählt worden war und in der SP für digitale Themen zuständig wurde. Edith Graf-Litscher lacht, als sie von dieser Reaktion erzählt, die heute undenkbar wäre.

Über Parteigrenzen hinweg
«Das Schöne bei digitalen Themen ist: Auf politischer Ebene gibt es eine überparteiliche Zusammenarbeit. Alle Parteien sind sich zum Beispiel einig, dass bei grossen IT-Projekten kritisch hingeschaut werden muss, da viel Geld investiert wird.» Die thematische Verantwortung für Digitalisierung in Bildung oder Gesundheit teilen sich die Fraktionen untereinander auf. In der Internetpolitik sei viel in Bewegung, so Graf-Litscher. Früher war es eine Handvoll Politikerinnen und Politiker, die sich die Digitalisierung auf die Fahne schrieben. Seit 2020 gibt es eine offizielle digitale Strategie des Bundesrats. Anfang dieses Jahres hat der Bundesrat zusammen mit den Kantonsregierungen zudem die neue Organisation «Digitale Verwaltung Schweiz» gegründet. Ziel ist es, die Digitalisierung in der Verwaltung zu beschleunigen.

Damit vermehrt Frauen IT-Berufe ergreifen, ist es wichtig, in den Schulen und zu Hause schon früh die Neugier zu wecken. Edith Graf-Litscher

Innert Kürze auf digital umgestellt

Die Pandemie hat die gewohnte Zusammenarbeit in der Politik auf den Kopf gestellt. Es habe ein gewaltiger Schub beim mobilen Arbeiten stattgefunden, stellt die SP-Nationalrätin fest: «Ich war erstaunt, wie schnell alles ging. Wir haben Gesetze angepasst, digital abgestimmt, mobiles Arbeiten ermöglicht sowie Kommissionssitzungen und Parteitage digital durchgeführt.» Plötzlich habe sich gezeigt, wie das Parlament und damit die Demokratie auch noch funktionieren können. «Die Schweiz darf stolz darauf sein, dass die digitale Demokratie innert kurzer Zeit so gut funktioniert hat», so Graf-Litscher.

Cybersicherheit aktiv angehen
Sicherheit war für Edith Graf-Litscher stets zentral in ihrem Berufsalltag. Als gelernte  Bahnbetriebsdisponentin arbeitete sie über ein Jahrzehnt bei den SBB, regelte den Zugverkehr und war für die Sicherheit im Verkehr zuständig. Als Nationalrätin sitzt sie in der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen sowie in der Sicherheitspolitischen Kommission. In ihrer politischen Tätigkeit beschäftigt sich Edith Graf-Litscher unter anderem mit Cybersicherheit; sie stellt hier eine erhöhte Sensibilisierung fest: «Den Leuten ist bewusster geworden: Das kann auch mich oder mein Unternehmen treffen.» Die Nationalrätin erwähnt MELANI, die Melde- und Analysestelle Informationssicherung der Bundesverwaltung. MELANI gehört zum Nationalen Zentrum für Cybersicherheit (NCSC). Die Stelle steht sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen bei Cyberattacken zur Verfügung. «Wichtig ist, dass solche Meldestellen auch niederschwellige Unterstützung bieten und der Bevölkerung bei Problemen direkt und unkompliziert weiterhelfen», betont Edith Graf-Litscher.

Die Digitalisierung ist wie das Wetter – es betrifft uns alle, ob wir das nun wollen oder nicht. Edith Graf-Litscher

Wie das Wetter – es betrifft uns alle
Die Ostschweizerin betont, dass Digitalisierung ein gesellschaftspolitisches Anliegen ist, das über die technischen Aspekte hinausgeht. Die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung zu gestalten, sei ihre Motivation. «Die Digitalisierung ist wie das Wetter – es betrifft uns alle, ob wir das nun wollen oder nicht. Alle Altersgruppen und Geschlechter müssen sich an der digitalen Entwicklung beteiligen und sich dafür interessieren», so die Nationalrätin. Die Digitalisierung sei ein Teil unseres Lebens, der uns unterstütze – und nicht Arbeitsplätze zerstöre.

Damit vermehrt Frauen IT-Berufe ergreifen, sei es wichtig, in den Schulen und zuhause schon früh die Neugier zu wecken. Die zentrale Frage dabei: Welchen Nutzen hat die Digitalisierung für uns? Edith Graf-Litscher nennt das Beispiel Smart Home, also die technischen Systeme und Abläufe in Wohnungen und Häusern: «Mit Smart Home kann ich im Alter länger zuhause leben oder die Heizung effektiv steuern. Andere mögen sagen, das sei Überwachungsstaat – doch es geht immer darum, digitale Systeme sinnvoll und nicht naiv zu nutzen. Das haben wir selbst in der Hand», ist die Politikerin überzeugt.

Ein Mix aus mobil, digital und persönlich
Edith Graf-Litschers Arbeitstag beginnt meist mit der digitalen Lektüre der «Thurgauer Zeitung» im Zug. Sie arbeitet im Home-Office, mobil im Zug oder am Arbeitsplatz im Bundeshaus. Als Gewerkschaftssekretärin der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) besucht Graf-Litscher die Unternehmen vor Ort oder arbeitet im Büro der Gewerkschaft in Bern. «Trotz der zahlreichen digitalen Möglichkeiten, die ich schätze, ist mir der persönliche Austausch sehr wichtig. So schätze ich es denn auch, nicht in einem Einzelbüro zu sitzen, sondern gemeinsam mit meiner Assistentin und dem Lernenden das Büro zu teilen.»

Parldigi – Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit

Die Gruppe wurde 2009 gegründet und besteht heute aus knapp 40 Mitgliedern aus allen im Parlament vertretenen Parteien. Edith Graf-Litscher (Nationalrätin SP) hat gemeinsam mit Franz Grüter (Nationalrat SVP) das Co-Präsidium inne. Parldigi ist Ansprechpartnerin für den Bundesrat und die Bundesverwaltung, wenn es um digitale Themen geht. Die Gruppe setzt sich unter anderem für ein transparentes Beschaffungswesen und für die Umsetzung von Open Access, Open Data und Open Source in Verwaltung und Wissenschaft ein. Für Parlamentarierinnen und Parlamentarier bietet Parldigi die Weiterbildung «Digitale Masterclass» an.