Wieso betrifft die Digitalisierung auch Gemeinden? Wieso ist die Gemeinde Goldach aktiv unterwegs?
Richard Falk: Dass die Digitalisierung kommt, kann Goldach nicht beeinflussen. Meine Haltung war immer: Lieber Schritt um Schritt nehmen, vorne mit dabei sein und mitgestalten können, als zurücklehnen, sagen, dass es uns nichts angeht und mich möglichst lange wehren. Denn dann wird der Schritt so gross, dass er nur noch Ängste auslöst. Also machen wir lieber verdaubare Schritte, dann haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Was noch hinzu kommt: Freude, Spass und Interesse. Aber meine Hauptmotivation war immer: Ich will Step-by-Step gehen und nicht irgendeinmal einen Riesenschritt nehmen müssen.
Angela Peduzzi: Ich habe zwei Welten erlebt. Einerseits dreizehn Jahre bei der VRSG und jetzt ein knappes Jahr auf der Gemeinde. Es ist eindrücklich zu sehen, was alles im Verwaltungsbereich möglich ist und wie sich die Gemeinde Goldach in den vergangenen Jahren mit der Digitalisierung aktiv auseinandergesetzt hat. Meine Motivation ist es weitere Routinegeschäfte zu automatisieren, interne Medienbrüche abzubauen und die Mitarbeitenden auf diesem Weg zu begleiten. Denn es hört nicht damit auf, sobald ein Tool ausgeliefert ist. Das Tool ist zwar bei den Leuten, aber Du musst sie auch befähigen, damit zu arbeiten. Das ist ein wichtiger Arbeitsschritt. Einerseits die Mitarbeitenden motivieren, andererseits ihnen auch die Mehrwerte aufzeigen, wie sie damit umgehen und arbeiten. Sobald das Hilfsmittel optimal im Einsatz steht, sagen die Mitarbeitenden, dass es einfacher ist, sie effizienter sind und sie die Bürger am Schalter besser bedienen können.
Man unternimmt die digitale Transformation ja mit gewissen Zielen vor Augen. Sie haben das Front Office als Beispiel genannt. Dort war das Ziel, dass dort die Prozesse einfacher werden. Welche anderen Ziele verfolgen Sie? Wo Sie sagen: Wir machen das, weil wir das und das und das erreichen wollen?
Richard Falk: Das Ziel ist natürlich, dass es irgendwann beim Bürger ankommt. Am Ende soll der Bürger Vorteile haben, wenn wir innerhalb der Verwaltung effizient arbeiten. Aber auch sein Kontakt mit den Behörden soll effizienter werden. Hier fehlt uns im Moment der zentrale Einstiegspunkt für die Bürger, das Bürgerkonto, das Bürgerportal. Im Kanton St.Gallen wird derzeit in einem Pilot des Bildungsdepartements das E-Portal aufgebaut. Mit dem Ziel, dass dort nach und nach alle Dienstleistungen aufgeschaltet werden, damit der Bürger einen zentralen Einstiegspunkt hat, wenn er mit den Behörden verkehren will – und zwar unabhängig von der Staatsebene. Heute ist das ja total verzettelt: Man hat ein Steuerkonto gehabt, das Migrationsamt hat ein Konto gehabt, jede Gemeinde hat ein eigenes Konto. Das muss viel einfacher werden, so dass es für den Bürger auch attraktiv ist, diese Dienstleistungen elektronisch zu nutzen. Unser Ziel ist es, dass wir intern fit sind, die Prozesse medienbruchfrei übernehmen und elektronisch abwickeln zu können. So kann sich der volle Nutzen der Digitalisierung entfalten. Das kann Goldach natürlich nicht alleine machen. Hierzu brauchen wir unsere Anbieter.
Goldach befindet sich auf dem Weg der Digitalisierung. Wie hat sich diese schon heute auf die Gemeindeverwaltung ausgewirkt?
Richard Falk: Der Bürger hat gewisse Dienstleistungen, die er kennt und auch nutzt. Verschiedene Prozesse funktionieren auch schon medienbruchfrei. Wir waren beispielsweise eine der ersten Gemeinden, welche die Parkplatzbewirtschaftung digitalisiert hat. Auch unterstützen wir die elektronische Stimmabgabe bei Wahlen und Abstimmungen und selbstverständlich den E-Umzug. Ebenso kann der Bürger sämtliche Räume der Gemeinde online buchen und bezahlen. Und innerhalb der Verwaltung merken wir, dass wir die Qualität steigern konnten und eine bessere Übersicht über unsere Prozesse haben.
Angela Peduzzi: Wir haben mit Abraxas Axioma eine Geschäftsverwaltungslösung fast schon flächendeckend im Einsatz. Diese hat vieles vereinfacht. Die Mitarbeitenden sind grundsätzlich sensibilisiert auf das Prozessdenken. Weil wir unsere Geschäftsdossiers in Prozessschritten abwickeln - mit integrierten Dokumentvorlagen und weiteren Hilfsmitteln. Alle haben hier die gleiche Basis. Das spüre ich in der Zusammenarbeit: Wir arbeiten mit Aktivitäten und Pendenzen, kommunizieren über die Geschäftsverwaltung miteinander. Und das alles medienbruchfrei.
Digitalisierungsexpertin Angela Peduzzi gibt vier Tipps für eine erfolgreiche digitale Transformation einer Verwaltung.
Was waren die Hindernisse oder Herausforderungen, alle Mitarbeitenden zu bewegen, mit der neuen Lösung zu arbeiten?
Richard Falk: Hier sieht man die Herausforderung deutlich: Innerhalb der einzelnen Fachanwendungen können gewisse Abteilungen ihre Prozesse vollständig abwickeln. Aber es ist gleichwohl eine Insel, denn man muss trotzdem miteinander kommunizieren können. Es hilft mir aber nicht, wenn ich meine Pendenzen an sieben verschiedenen Orten – Outlook, Fachanwendungen, Geschäftsverwaltung – zusammensuchen muss, wenn ich mir einen Überblick verschaffen möchte. Das muss durchgängig werden: Die Fachanwendungen sollten sich gegenüber anderen Anwendungen in anderen Abteilungen öffnen. Mir schwebt vor, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft die Ebenen Dokumente/Daten und Aktivitäten/Aufgaben/Pendenzen quer durch alle Fachanwendungen gehen, von wo man auf alle einzelnen Daten zugreifen kann. So könnte man voll elektronisch effizient miteinander zusammenarbeiten.
Angela Peduzzi: Früher ist noch viel extremer in diesen Silos gedacht worden. Wenn ich vergleiche wie es vor 15 Jahren gewesen ist, dann ist es heute bereits um einiges besser. Mir ist wichtig, dass wir mit den bestehenden Hilfsmitteln, die wir heute haben auch optimal umgehen. Kontraproduktiv ist es, wenn eine Gemeinde nach dem Motto einkauft: "Wir haben jetzt einfach mal alles" – aber die Gegebenheiten, die Mitarbeiter, die Infrastruktur dafür gar nicht vorhanden sind.
Das heisst, Sie empfehlen hier ein schrittweises Vorgehen. Haben Sie weitere Empfehlungen für eine erfolgreiche digitale Transformation?
Angela Peduzzi: Es braucht eine Führung, die mitzieht und die Begeisterung übertragen kann. Auch wenn es sich um einen strategischen Entscheid des Gemeinderats handelt, mit welchem sich die Verwaltungsmitarbeitenden vorderhand nicht identifizieren können. Es braucht eine Führung, die den Entscheid trägt mit einer Überzeugung und Leidenschaft, die sich überträgt auf die Mitarbeitenden bis hin zum Lernenden. Man muss die Digitalisierung zur Chefsache erklären, kritische Fragen zur Organisation stellen, mit einfachen Schritten starten, kundenorientiert arbeiten, digitale Talente rekrutieren, Mitarbeiter fördern und mutig vorangehen.
Richard Falk: Es geht aber auch nicht ohne die Basis. Du brauchst auch Mitarbeitende, die diese Begeisterung haben und weitertragen. Wir haben dies in verschiedenen Projekten gesehen – auch bei der Geschäftsverwaltung mit Axioma: Anfangs musst du mit sanftem Zwang die Mitarbeitenden dazu bringen, dran zu bleiben. Und auf einmal kehrt es. Plötzlich kommen Forderungen: "Wieso geht denn das nicht auch noch?" Oder: "Es wäre doch praktisch, wenn wir das auch noch machen könnten." Aber dieser Prozess braucht Kontinuität und Zeit.
Es braucht also erstens eine Führung, die vorangeht, und zweitens personelle und zeitliche Ressourcen.
Richard Falk: Unbedingt. Man darf natürlich nicht vergessen, dass die Mitarbeitenden weiterhin ihr Tagesgeschäft zu bewältigen haben. Und am Anfang sind Digitalisierungsvorhaben immer mit einem Mehraufwand verbunden, weil erst einmal die Grundlagen erarbeitet werden müssen. Du kannst nicht einfach heute auf den Knopf drücken und morgen funktioniert es. Damit die Mitarbeitenden diesen Aufwand auf sich nehmen und konsequent dranbleiben, braucht es eine permanente Motivation. Dann ist es schön, zu beobachten, wenn es plötzlich zum Selbstläufer wird, wenn Du merkst: Jetzt kippt es. Jetzt ist das Feuer entfacht. Und jetzt kommt es.
Wäre das auch mit externer Hilfe möglich gewesen?
Richard Falk: Externe sind wichtig, um Inputs zu geben und Prozesse in Gang zu setzen. Zusätzlich musst Du intern jemanden haben, der das weiterführt und die Digitalisierung kontinuierlich vorantreibt.
Wie sie sagen, gibt es immer einen Tipping Point ins Positive. Das kann ja auch ein Risiko sein, wenn man diesen Punkt nicht erreicht. Gibt es weitere Risiken, die sie auf dem Weg der digitalen Transformation sehen?
Angela Peduzzi: Veränderungen lösen grundsätzlich zuerst Ängste aus. Was erwartet mich jetzt? Wie ist es morgen? Wie sieht es mit meinem Arbeitsplatz in fünf Jahren aus? Wir konnten in einem Bereich aufgrund der Digitalisierung ein paar Stellenprozente reduzieren, welche wir in einem anderen Bereich aufstocken konnten. Wir können also gezielter mit Ressourcen umgehen.
Richard Falk: Wir mussten noch nie Leute entlassen und wir werden es wahrscheinlich auch nie müssen. Aber wir haben natürlich Fluktuationen. Hier können wir immer wieder prüfen, ob wir eine Stelle wieder zu 100% besetzen oder ob wir dies auch mal zu 80 oder 70% ausschreiben können. Das wird es in Zukunft vermehrt geben. Wir merken, wo wir Entlastungen haben und können in diesem Ausmass einen Return on Investment liefern.
Angela Peduzzi: Es ist absehbar, dass wir in den nächsten vier, fünf Jahren einen Bevölkerungszuwachs haben werden. Das Ziel ist es auch den Bevölkerungszuwachs dank der Digitalisierung mit bestehenden Ressourcen bewirtschaften zu können. Aus meiner früheren Tätigkeit kenne ich Beispiele von Gemeinden, die in den vergangenen Jahren stark gewachsen sind, die mit der gleichen Infrastruktur jetzt bis zu 800, 1000 Einwohner mehr bewirtschaften können. Das ist auch ein Erfolg der Digitalisierung.
Gibt es neben der Arbeitsplatzsicherheit andere Ängste, die man den Mitarbeitenden nehmen muss? Berührungsängste zu den Tools beispielsweise?
Angela Peduzzi: Das erlebe ich immer wieder. Die Mitarbeitenden wissen, dass ein Prozessschritt möglich wäre, haben aber Angst, einen Fehler zu machen und drücken den entsprechenden Button in der Applikation nicht. Da muss man die Mitarbeitenden heranführen. Natürlich braucht das Zeit, Geduld und Verständnis. So konnten wir in der Vergangenheit dann gemeinsam weitere Routinegeschäfte digitalisieren. Es folgt dann – immer – ein positives Feedback der Mitarbeitenden, weil zum Beispiel die Gänge ins Archiv weggefallen oder weil sie die Bürger am Schalter optimal bedienen können. Das freut mich umso mehr.
Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft. Welche Projekt-Highlights haben Sie momentan in der Pipeline?
Richard Falk: Wir sind momentan an mehreren spannenden Projekten dran. Einerseits ein Pilotprojekt mit Abraxas zum Digitalen Posteingang. Dann wollen wir dieses Jahr noch den gesamten Personalrekrutierungsprozess digitalisieren. Ebenfalls sind wir daran, das ganze Interne Kontrollsystem umzustellen. Das ist zurzeit eine Access-Anwendung – mehr eine Sammlung von Risiken und Massnahmen. Wir wollen hier auf ein IKS wechseln, das eben nicht mehr etwas Statisches ist, das einmal im Jahr nachgeführt wird, sondern das zu einem Hilfsmittel wird, das im Alltag an der Qualität wirklich etwas verbessert und bei der täglichen Arbeit hilft. Das sind die drei Projekte, die wir dieses Jahr angehen möchten.
Angela Peduzzi: Ein Projekt, welches wir gerade gemeinsam mit Abraxas abschliessen konnten, ist die Einführung der Digitalen Zustellbox. Damit stehen unseren Abteilungen als auch Externen, wie Vereinen, Strassenverkehrsamt, Migrationsamt die Mutationsmeldungen in elektronischer Form zur Verfügung. Das läuft reibungslos. Ende Februar konnten wir ebenfalls die Überführung der physischen Einwohnerdossiers ins E-Dossier von Abraxas Loganto abschliessen. Mitte März starten wir mit der Einführung eines Bewerbermanagementsystems und darauf folgt die Einführung einer IKS-Lösung, welche eine abteilungsübergreifende Kontrolltätigkeit unterstützt im Zusammenspiel mit unseren Prozessen und der Geschäftsverwaltung. Ein weiteres Projekt, welches unmittelbar im März ansteht, ist ein E-Learning des Kantons für unsere Mitarbeitenden zum Thema Informationssicherheit und Datenschutz. Da geht es um Themen wie zum Beispiel dem Umgang mit heiklen E-Mails, Regeln und Umgang mit Informationen oder der Wahl von optimalen Passwörtern.
Richard Falk: Und abschliessend: Wir sind sicher noch weit weg davon, perfekt zu sein. Aber wir versuchen uns ständig Schritt für Schritt zu verbessern. Und damit schlage ich den Bogen wieder zum Anfang unseres Gesprächs. Lieber immer wieder ein kleines Schrittchen machen, als zu warten, bis es nicht mehr anders geht und man von den Entwicklungen vorwärts gestossen wird. Du stolperst auch mehr, wenn du gestossen wirst. Wahrscheinlich ist es das Wichtigste, dass man Spass an der Sache hat. Schlussendlich hängt die Digitalisierung immer noch vom Mensch ab. Und ohne Menschen funktioniert auch die Digitalisierung nicht. Und darum ist das wahrscheinlich das Wichtigste. Dass du das auf eine gute Art einführen kannst – dann funktioniert das auch.