Gossau ZH: Zwischen E-Government, Föderalismus & New Work (Video: Samuel Näf)
Wenn es in der Zürcher Oberländer Gemeinde Gossau um Digitalisierung geht, laufen alle Fäden bei Martina Truong, Bereichsleiterin ICT, und bei Matthias Graf, stv. Gemeindeschreiber, zusammen. Im Gespräch mit dem Abraxas Magazin zeigen sie, wie sie mit den Herausforderungen von Digitalisierung und E-Government auf Gemeindeebene umgehen. «Für uns ist in allen unseren Projekten klar, dass wir den Menschen ins Zentrum stellen. Denn ICT hat nur dann einen Nutzen, wenn der Mensch weiss, was sie ihm nützt und wie er sie nutzen kann», stellt Martina Truong bereits zu Beginn fest und gibt vor, worüber sich die Unterhaltung in der nächsten halben Stunde drehen wird.
Intern neu aufgestellt…
«Wir stellen den Menschen immer mehr und konsequenter ins Zentrum sämtlicher Überlegungen», doppelt Matthias Graf nach. Das Resultat ihrer Arbeit halte man in den Händen, so der energiegeladene stv. Gemeindeschreiber, und hält sein Notebook hoch: «Wir können überall und jederzeit arbeiten, das ist unser Büro, das sind all unsere Akten, unsere Telefonanlage». Die Gemeinde sei dank der kompletten Neugestaltung der ICT-Landschaft und dank der digitalen Informationsverwaltung (GEVER) intern sehr gut aufgestellt. «Wir haben als Organisation Rahmenbedingungen für unsere Mitarbeitenden geschaffen, so dass sie gerne bei uns sind, gesund da sind und glücklich da sind.»
…aber extern noch nicht so weit
Diese optimalen Rahmenbedingungen fehlen noch, wenn man an die Dienstleistungen für die Einwohnenden denkt. Häufig hätten Einwohner:innen von Gemeinden heute noch den Zwang, ihre Services physisch zu beziehen. Das Ziel von durchlässigem und ortsunabhängigem Bezug von Dienstleistungen liege noch in weiter Ferne. Woran das liege, wollen wir wissen. «Manchmal habe ich das Gefühl, es bewegt sich jeder in seinem Gärtchen», so Graf. Denn es können auch nicht alle alles machen. Bei gewissen Themen macht es Sinn, wenn der Bund den Takt vorgibt. Zentral ist es, sich immer wieder auf das gemeinsame Ziel zu fokussieren. «Nur wenn man Kompromisse eingeht, erreicht man das Ziel». Dabei brauche es auch einen gewissen Drive: Es könne doch nicht sein, dass E-Government-Projekte auf 7, 8 Jahre Dauer ausgelegt sind.. Für die ICT-Leiterin kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: «Erst wenn sichergestellt ist, dass man intern digital fit ist, erst dann kann man überhaupt an E-Government denken.» Im Fall von Gossau ZH sei Corona sicher ein Katalysator gewesen vorwärtszumachen. Es beginnt intern bei einer digitalen Arbeitskultur und optimierten Prozesse und endet bei E-Government-Dienstleistungen für die Bevölkerung.
Das Warten auf die E-ID
Um diese Dienstleitungen besser erbringen zu können, fehlt heute noch ein wichtiges Puzzleteil. «In vielen Themen ist die fehlende digitale Identität heute das Kriterium, warum die Leute eine Dienstleistung heute noch physisch beziehen müssen. Wenn es sie gäbe, wäre sie sehr viel wert. Vieles wäre einfacher», stellt Matthias Graf fest. Genau solche Dienstleistungen seien es auch, die von der Bevölkerung nachgefragt würden. Im privaten Bereich bestellt und bezahlt man schnell am Handy. Im Kontakt mit der Verwaltung geht das nicht – aber das Bedürfnis steigt und die Akzeptanz des Status quo sinkt. Der Gang an den Schalter ist immer noch notwendig, weil man die Prozesse der eigenen Identität und der eigenen Unterschrift noch nicht durchgängig gelöst hat.
Gossau ZH setzt auf Abraxas
Die Gemeinde im Zürcher Oberland ist digital gut aufgestellt: Seit dem 1. Januar 2022 bezieht das 10'300-köpfige Gossau ZH die komplette Gemeinde-Suite von Abraxas. Dazu gehören neben den Einwohnerdiensten (Abraxas INNOSOLV) auch die Lösungen für Steuern (ZP ZüriPrimo) und Finanzen/Lohn (Abraxas ABACUS). Nachdem die internen Verwaltungsprozesse technisch neu aufgestellt wurden, sind Martina Truong, Bereichsleiterin ICT, und Matthias Graf, stv. Gemeindeschreiber, in den Startlöchern, die Gemeinde auch im Kontakt mit der Bevölkerung digital voranzubringen.
Die Schwäche des Föderalismus?
Für Graf liegt das Hauptproblem in der Vielzahl der Gremien, die sich mit Digitalisierung beschäftigen. Die Komplexität ist hoch, überhaupt herauszufinden, wer jetzt genau wofür zuständig ist: Digitale Verwaltung Schweiz, E-Government, diverse Ämter auf Kantonsstufe… «Die Anzahl der Gremien ist hoch und stiftet Verwirrung und Unsicherheit», betont auch Martina Truong. Eine Bündelung der Kräfte täte Not. Aber es gebe auch Hoffnung, so Graf: «Auf allen föderalen Ebenen haben wir fachliches Know-how und engagierte Personen. Eigentlich müsste man das nur geschickt bündeln. In der Schweiz hätte man nie das Problem, dass man etwas am Kunden vorbeibauen würde – weil man alle entsprechend involviert.» Hier komme auch die Kundennähe und der Praxisbezug der kommunalen Ebene zum Tragen – ein Vorteil des föderalen Systems.
Und seine Stärke?
Schliessen sich E-Government und Föderalismus per aus? – Nein, meint Matthias Graf, denn der Umkehrschluss sei nicht sinnvoll. Es brauche alle Gremien, alle Ebenen, denn so funktioniere nun mal die Schweiz. Die Strukturen seien nicht einfach zu handhaben, aber sie bieten ein wahnsinniges Potenzial: «Es braucht Mut, Wille, gemeinsame Visionen und eine gemeinsame Haltung. Dann kannst du auch über die föderalen Strukturen enorm Schub geben im E-Government.» Die Antwort liege im Gesamtsystem, ergänzt Martina Truong: «Beides geht Hand in Hand. Denn wenn du im grossen Ganzen eine Schraube entfernst, wackelt es und funktioniert und tickt nicht richtig.» Damit man das Potenzial nutzen könne, brauche es aber sicher eine klarere Definition und Abstimmung, wo welche Aufgabe angesiedelt ist, ergänzt Matthias Graf. Da brauche es Klarheit. Momentan überwiege das Gefühl, dass es da noch sehr viele Überschneidungen gibt.
Skizzen aus der digitalen Zukunft
Zum Abschluss unseres Besuchs wollten wir von Martina Truong und Matthias Graf noch wissen, welche nächsten Projekte auf ihrer Roadmap für Gossau ZH stehen. Weil man komplett auf die digitale Arbeitsweise umgestellt habe, hat der Wandel auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, die interne Organisation und die Kommunikation innerhalb der Verwaltung. Um diese Lücke zu schliessen, brauche es ein Social Intranet, so Martina Truong. Und für den Austausch mit der Bevölkerung plane man die automatische Terminbuchung und einen Live-Chat, fügt Matthias Graf an. Auch gehöre die hohe Zahl an Kundenschaltern im Gemeindehaus bald der Vergangenheit an. Das sei nicht effizient und kundenfreundlich: «Wenn Einwohner:innen hierherkommen, melden sie sich künftig bei der Zentrale und wir kommen zu den Kunden. Sie müssen sich nicht mehr ihre Ansprechpersonen suchen, sondern wir gehen zu ihr, zu ihm. Ähnlich wie in einer Bank.» Man müsse der heterogenen Kundschaft Rechnung tragen und Sensibilität beimessen.
Es fällt auf, wie die Gemeinde aktiv vorausdenkt und die Nähe zu den Kunden, zur Bevölkerung sucht. Neue Technologien und Trends werden aktiv aufgenommen und geprüft. So z. B. aktuell ChatGPT oder ein Kundenschalter im Metaverse. Wie können diese Werkzeuge in Gossau ZH eingesetzt werden? Was bringen sie der Bevölkerung? Fortsetzung folgt…