Über den Gesprächspartner
Stephan Ziegler ist kantonaler Wahl- und Abstimmungsleiter im Statistischen Amt des Kantons Zürich und stellvertretender Amtsleiter. Er ist zudem für den Schweizerischen Expertenpool für zivile Friedensförderung des EDA sporadisch als Wahlbeobachter im Einsatz. Das Statistische Amt ist für die Organisation von kantonalen und eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen im Kanton Zürich zuständig.
Herr Ziegler, am 18. Mai musste sich Abraxas VOTING im Kanton Zürich zum ersten Mal ohne «Rückendeckung» durch die Vorgänger-Software WABSTI behaupten. Wie ist der Sonntag gelaufen?
Stephan Ziegler: Es ist sehr gut gelaufen, wie wir das auch erwartet haben. Wir haben die Ablösung von WABSTI respektive die Einführung von VOTING – im Rahmen eines Parallelbetriebs während drei Urnengängen – sorgfältig vorbereitet. Es war gewissermassen ein langsamer, schleichender Übergang. Die Rückmeldungen aus den Gemeinden waren bisher überwiegend positiv.

«VOTING Ausmittlung muss bis ins Detail selbsterklärend sein.»
Trotzdem sehen Sie Optimierungsbedarf.
Ziegler (schmunzelt): Den gibt es eigentlich immer. Wir haben uns in den letzten zwei Jahren intensiv mit VOTING beschäftigt. Aus unserer Sicht gab und gibt es nach wie vor Optimierungen bei UX und der Benutzerführung. VOTING ist keine Applikation, welche die Gemeinden täglich nutzen, wie beispielsweise eine Einwohnersoftware. Sie muss deshalb bis ins Detail selbsterklärend sein. Wir, als kantonales Wahl- und Abstimmungsbüro, nutzen diese zentrale Geschäftsapplikation hingegen fast täglich.
Neben den Optimierungen beim UX steht auch das Backend im Fokus. Hier geht es um die automatisierte und standardisierte Belieferung von Umsystemen, etwa zur automatisierten Plausibilitätsprüfung und Veröffentlichung der Ergebnisse in Echtzeit. Zudem stehen im Kanton Zürich am 8. März 2026 die Erneuerungswahlen der Gemeindebehörden an, womit insbesondere bei den Funktionalitäten für Proporzwahlen auch noch kleinere Optimierungen hinzukommen.
In der Menge staut sich somit einiges im Backlog an.
Das erfordert eine gute Zusammenarbeit mit Abraxas. Zufrieden?
Ziegler: Ja, als Betreiberin der Vorgänger-Software WABSTI, arbeitet das Statistische Amt schon seit über 20 Jahren in diesem Bereich mit Abraxas zusammen. Die Zusammenarbeit im Projekt war angenehm und konstruktiv. Es war eine intensive Zeit, vom Zuschlag im Sommer 2023 bis heute.

«Es geht darum, die Prozesse robuster, solider, sicherer und einheitlicher auszugestalten.»
Hat die Voting-Einführung auf Ihrer Seite zu Anpassungen in Ihrer Organisation geführt?
Nein, da VOTING dieselben Prozesse abdeckt wie die Vorgängersoftware, nur moderner und sicherer. Die neu eingeführten – und in der Ausschreibung geforderten – persönlichen Zugriffe via Zwei-Faktor-Authentifizierung auf die Applikation, führen bei den Gemeinden zu einem zusätzlichen Schritt bei der Übermittlung der Abstimmungsergebnisse an den Kanton. Die Übermittlung muss ebenfalls via Zwei-Faktor-Authentifizierung quittiert werden. In den beiden grossen Städten, Zürich und Winterthur, könnte dieser Punkt zu einem höheren Aufwand beim Onboarding von neuen Nutzenden führen.
Warum?
An den drei grossen Wahlwochenenden (eidgenössisch, kantonal und kommunal) sind in den städtischen Wahlbüros mehrere hundert Personen milizamtlich im Einsatz, um die Wahlzettel elektronisch in VOTING zu erfassen. Für das Onboarding muss sich eine Person im städtischen Netzwerk befinden. Diese Personen arbeiten jedoch nicht in der Stadtverwaltung. Sie müssten vor ihrem Einsatz am Wahlsonntag bereits bei der Stadt vorbeikommen, um ihr Onboarding abzuschliessen, damit sie am Wahlwochende von Anfang an bereit sind. Wir sind aber gemeinsam mit Abraxas und den Städten daran, eine gute Lösung zu erarbeiten.
Im Kanton Zürich wird nur das Ergebnis digital ermittelt, die Auszählung basiert auf manueller Zählung. Ist das noch zeitgemäss?
Dies ist schweizweit der Regelfall. Die überwiegende Mehrheit der Stimmen in der Schweiz wird manuell ausgezählt, natürlich mit Zählmaschinen und Präzisionswaage und dergleichen. Es gibt schon einzelne Kantone, z.B. die Waadt, Basel-Stadt und Städte z. B. St. Gallen und Bern, die auf E-Counting setzen, also das Scanning und digitale Auswerten von Stimm- und teilweise auch von Wahlzetteln. Es sind mittlerweile grob geschätzt ca. 10 % aller Stimmzettel, die per E-Counting ausgezählt werden. Dann gibt es seit 2023 wieder einige Kantone, die E-Voting anbieten, womit die Stimmen nicht nur elektronisch abgegeben, sondern auch elektronisch gezählt werden. Dies sind aktuell sehr wenige Stimmen.
Für mich stellt sich bei der Digitalisierung von Wahl- und Abstimmungsprozessen primär die Frage, ob und wie die Nachvollziehbarkeit, Sicherheit und Vertrauen in die Abläufe und das korrekte Resultat gewährleistet sind. Was die Prozesse, Praktiken und Applikationen betrifft, gibt es im Wahl- und Abstimmungsmanagement der Schweiz noch viel Potenzial für Digitalisierung, Standardisierung und Automatisierung. Wir rühmen uns in der Schweiz gerne als Abstimmungsweltmeisterin. Wir führen zwar weltweit die meisten Abstimmungen durch, aber im Wahl- und Abstimmungsmanagement sind wir noch nicht weltmeisterlich.
Also die ganze Demokratiekette digitalisieren?
Nein, es geht mir hier zunächst um die Prozesse, Praktiken und Applikationen der Wahl- und Abstimmungsbehörden in Bund, Kantonen und Gemeinden, denn Wahlen und Abstimmungen sind eine Verbundsaufgabe. Es geht darum, die Prozesse robuster, solider, sicherer und einheitlicher auszugestalten. Wenn Sie mit Demokratiekette die digitale demokratische Beteiligung meinen, dann geht es mehr um die Fragen, welche digitalen Dienste den Bürgerinnen und Bürgern geboten werden sollen oder müssen, um ihre politischen Rechte auch digital auszuüben. Es geht weniger um Sicherheit oder Effizienz, sondern um den Dienstleistungsgedanken. Im Bereich der demokratischen Partizipation ist zudem Inklusion ein wichtiger Aspekt. Die Bürgerinnen und Bürger nutzen den Stimmkanal ihrer Wahl.
Obwohl die briefliche Stimmabgabe bereits in den 70ern sukzessive eingeführt wurde, kann man heute immer noch persönlich an die Urne – auch wenn das Angebot immer weniger genutzt und irgendwann wohl ganz verschwinden wird.

«Software ersetzt den Menschen nicht vollständig, aber sie spielt eine immer grössere und unverzichtbare Rolle.»
Stimmen die politischen Rahmenbedingungen für dessen Weiterentwicklung?
Für die Weiterentwicklung des Wahl- und Abstimmungsmanagements in der Schweiz gibt es viele Bemühungen auf fachlicher und operativer Ebene. Dies sind aufgrund der föderalen «Arbeitsteilung» aber meistens auf interkantonaler oder kommunaler Ebene. Hervorzuheben sind hier die Arbeiten des Vereins eCH zur Entwicklung des Schnittstellenstandards eCH0225 für Wahl- und Abstimmungsinformation, wo der Kanton Zürich und Abraxas an vorderster Front mit dabei sind. Aber insgesamt würde ich mir noch eine stärkere Vernetzung, einen institutionalisierten Austausch und verbindlichere Standards und Regelungen zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden wünschen.
Wie sollte sich die Demokratie weiterentwickeln?
Eine grosse Frage. Wahlen und Abstimmungen sind zwar ein wichtiger, aber nur ein Aspekt einer demokratisch organisierten Gesellschaft. Demokratie als Staatsform ist weltweit unter Druck. Die digitale Transformation setzt der Demokratie weiter zu. Man denke hier an Desinformationskampagnen und Beeinflussungsaktivitäten wie auch an die tägliche Informationsflut: der/die informierte Bürger:in bleibt eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Was die Weiterentwicklung der demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten in der Schweiz betrifft, gibt es auch neue analoge oder hybride Formate wie deliberative Bürgerräte und digitale Mitwirkungs- und Partizipationstools, welche verschiedene Städte und Gemeinden in der Schweiz bereits einsetzen. Spannend werden die Entwicklungen rund um E-Collecting-Projekte sein, welche der Bund und einige Kantone in den nächsten Jahren lancieren.
Ersetzt Software den Menschen?
Nein, Software ersetzt den Menschen bei der Ermittlung von Wahl- und Abstimmungsergebnissen nicht vollständig, aber sie spielt eine immer grössere und unverzichtbare Rolle. Zur Überwachung der eingesetzten Software, zur Funktions- und Qualitätskontrollen, für Plausibilitätsprüfungen, für Sicherheitsprüfungen und Audits sind Menschen unverzichtbar, auch wenn sie für diese Aufgaben wiederum Software einsetzen. Letztlich sind Menschen, als Mitglieder oder Vertreter der zuständigen Behörde/Verwaltungsstelle, für die Integrität der Wahl- und Abstimmungsprozesse verantwortlich. Der Mensch bleibt somit der entscheidende Faktor in der Gewährleistung eines korrekten Wahlergebnisses. Letztendlich liegt das Vertrauen in ein Wahl- oder Abstimmungsergebnis in der menschlichen Wahrnehmung und Akzeptanz des Prozesses.

Über Bruno Habegger
Bruno Habegger ist Abraxas-Magazin-Autor und Senior Communication Manager. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im ICT- und Energie-Bereich als Journalist, Contentproduzent und Berater. Er war Präsident einer Regionalpartei und an seinem damaligen Wohnort acht Jahre Mitglied der Sicherheitskommission.