Warum wurde HAL zum Mörder?

Wie sicher sind eigentlich Supercomputer in Science-Fiction-Filmen programmiert? Und was hat es mit deren scheinbarer Mordlust auf sich? Eine Gastkolumne von Filmwissenschaftler Simon Spiegel.

Von Simon Spiegel · 11. Mai 2022

«Wir alle sind hundertprozentig zuverlässig und narrensicher.» – So die selbstsicheren Worte des Supercomputers HAL 9000 in Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (1968). In der Folge erweist sich HAL freilich alles andere als fehlerfrei. Kurz nach seinem unbescheidenen Statement bringt der Supercomputer, der für die Steuerung des Raumschiffs Discovery auf dessen Mission zum Jupiter zuständig ist, die Besatzungsmitglieder eines nach dem anderen um.

Ahnengalerie mörderischer Supercomputer
Mit seinem Amoklauf scheint sich HAL nahtlos in die lange Reihe mörderischer Supercomputer einzufügen, welche den Science-Fiction-Film bevölkern. Sei es Skynet in der Terminator-Reihe, das Master Control Program in Tron (1982) oder Alpha 60 in Jean-Luc Godards Alphaville (1965) – filmische Supercomputer haben die unangenehme Tendenz, sich gegen ihre Erschaffer aufzulehnen. Im Motiv der denkenden Maschine, die sich gegen ihren Schöpfer wendet, inszeniert die Science-Fiction die uralte Geschichte neu, dass menschliche Hybris unweigerlich ins Verderben führt. Wenn sich der Mensch als Schöpfergott aufspielt, lässt die Strafe nicht lange auf sich warten. Bei genauerer Betrachtung fügt sich HAL aber nicht recht in diesen Stammbaum ein. Der Computer tötet zwar ohne viel Federlesens, wirkt aber nie wirklich bösartig, sondern insbesondere im Schlusskampf mit David Bowman, dem letzten Überlebenden der Discovery-Crew, regelrecht verzweifelt. Er will die Mission unbedingt zu Ende bringen, selbst wenn er dafür über Leichen gehen muss.

Filmische Supercomputer haben die unangenehme Tendenz, sich gegen ihre Erschaffer aufzulehnen. Simon Spiegel

Diagnose Softwarepsychose
Was HAL zu seiner Tat treibt, wird im Film nie offengelegt, entsprechend fleissig haben Fans seither  versucht, das mörderische Verhalten des Computers zu erklären. Die am häufigsten geäusserte Vermutung, die schliesslich von Kubrick und seinem Co-Autor Arthur C. Clarke bestätigt wurde, lautet, dass HAL an einem inneren Konflikt zerbrochen ist. Denn im Gegensatz zur menschlichen Crew kennt er das wahre Ziel der Jupiter-Mission: Sie soll dem Signal folgen, das der rätselhafte Monolith aussendet, der zu Beginn des Films auf dem Mond ausgegraben wird. Die Tatsache, dass HAL, der auf vollkommene Fehlerlosigkeit getrimmt ist, seine menschlichen Kollegen belügen muss, ist ein fundamentaler Widerspruch, der sich zur veritablen Softwarepsychose auswächst.

HAL ist wie Word und Teams
Das Fehlverhalten HALs ist mit anderen Worten auf widersprüchliche Programmierung und somit auf  menschliches Versagen zurückzuführen. HAL ist nicht böse, sondern wie auch Word, Teams und unzählige andere Programme, die uns mit ihren Bugs zur Weissglut treiben, bloss stümperhaft programmiert.

Gastkolumnen im Abraxas Magazin

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Simon Spiegel

Über Simon Spiegel

Simon Spiegel lehrt und forscht am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Er ist amtierender Präsident des Internationalen Festivals für Animationsfilm Fantoche in Baden, schreibt regelmässig für diverse Publikationen über Film und bloggt auf utopia2016.ch. Seine beiden Grundlagenwerke zum Science-Fiction-Film sowie zur Utopie im Dokumentar- und Propagandafilm sind als Open Access auf seiner Website simifilm.ch verfügbar. Spiegel lebt mit Frau und zwei Söhnen in Zürich.