Der deutsche Flickenteppich

Der Blick in den grossen Kanton zeigt: In Deutschland ist das Spannungsfeld «Föderalismus und E-Government» nicht unverkrampft. Aus der Schweiz bekannte Probleme akzentuieren sich nur schon aufgrund der Grösse des Landes: kaum Koordination, keine gesetzlichen Grundlagen, mangelnde Kompatibilität. Eine Auslegeordnung.

Von Christian Wölbert · 25. Mai 2023

In Deutschland bleibt E-Government häufig nur Stückwerk. Digital passt vieles nicht zueinander. (Illustration: Patric Sandri)

Können Bürger:innen in Deutschland über das Internet einen Bauantrag stellen? Den Wohnsitz ummelden, ein Auto zulassen, den Führerschein beantragen? Solche Fragen sind nicht pauschal zu beantworten. Denn der Vollzug dieser – und vieler weiterer – Verwaltungsleistungen fällt in die Zuständigkeit der Kommunen. Je nach Verfahren kümmern sich Tausende von kleinen Gemeinden oder rund 300 Landkreise und 100 kreisfreie Städte selbst um die Digitalisierung. Das gilt auch bei bundesweit einheitlich geregelten Aufgaben wie dem Führerscheinantrag. Für ein und dieselbe Aufgabe müssen also zigfach Onlinedienste eingeführt und gepflegt werden. So ist etwa die 2019 in den ersten Städten gestartete digitale Kfz-Zulassung an einigen Orten bis heute nicht verfügbar.

Die im Grundgesetz festgeschriebene, föderale Aufgabenteilung hat zur Folge, dass Deutschland beim E-Government insgesamt langsam vorwärtskommt. 2017 verpflichteten der Bund und die 16 Bundesländer alle Behörden mit dem «Onlinezugangsgesetz», bis Ende 2022 rund 580 Leistungen flächendeckend online anzubieten. Doch dieses Ziel wurde deutlich verfehlt: Zum Stichtag waren nur rund 100 Dienste bundesweit verfügbar. Im E-Government-Ranking der EU-Kommission (DESI Digital Public Services) liegt die Bundesrepublik nur auf Rang 18 von 27.

Kleine hinken hinterher

Vor allem kleine Städte und Landkreise hinken bei der Digitalisierung hinterher, ihnen fehlen die personellen und finanziellen Ressourcen. Es gibt aber auch Vorreiter: Laut einer Analyse der IT-Zeitschrift «c’t» bot Nürnberg Ende vergangenen Jahres 14 von 15 untersuchten Verwaltungsleistungen online an, München 13, Bonn 12. Solche Städte zeigen, dass auch deutsche Kommunen den Schritt ins Onlinezeitalter schaffen können, wenn sie frühzeitig investieren und einen langen Atem beweisen. Ausserdem ist längst nicht immer der Föderalismus das Problem: Manche Leistungen, etwa den Antrag auf den Personalausweis, können Behörden aus rechtlichen Gründen nicht online anbieten.

Doch selbst aus Sicht mancher Kommunen ergibt es wenig Sinn, einheitlich geregelte Verfahren vielfach digital anzubieten. Im März 2021 forderten sechs Städte, darunter München und Köln, die «Rückgabe» von Aufgaben an die «Herausgeberebene», also den Bund. Doch eine ernsthafte Debatte um eine Föderalismusreform lösten diese «Dresdner Forderungen» nicht aus.

Grosse scheitern an Nachnutzung

Bund und Länder setzen stattdessen auf das «Einer-für-alle-Prinzip»: Länder und Kommunen sollen, auch mit Geld vom Bund, einmal entwickelte Onlinedienste untereinander austauschen. Bislang scheitert die Nachnutzung dieser Dienste jedoch häufig an inkompatiblen Schnittstellen zu den internen Anwendungen der Behörden oder auch an Unklarheiten, zum Beispiel zur Kostenverteilung. Darum ist etwa der im Herbst 2022 von Hamburg eingeführte Dienst für die Wohnsitzummeldung noch in kaum einer anderen Stadt verfügbar. Einige Expert:innen bemängeln ausserdem, dass die mit Steuergeld entwickelten Einer-für-alle-Dienste die Vorteile des Föderalismus untergraben – die Freiheiten der Kommunen und Länder bei der Integration von Onlineangeboten und den Wettbewerb um die beste und günstigste Lösung.

Der Druck auf die Politik, den Digitalisierungsrückstand aufzuholen, dürfte weiter steigen. Bis Mitte Dezember 2023 müsste Deutschland laut der Single-Digital-Gateway-Verordnung der EU weitere Bürgerdienste online stellen und den Austausch von Nachweisen zwischen Behörden automatisieren. Doch bereits jetzt ist klar, dass Deutschland das nicht rechtzeitig schaffen wird.

Christian  Wölbert

Über Christian Wölbert

Christian Wölbert arbeitet als Redakteur für c't, das grösste IT- und Technikmagazin Europas, und für das Onlineportal heise online. Er schreibt vor allem über digitalpolitische Themen und verfolgt die Digitalisierung der Verwaltung. Ausserdem beschäftigt er sich mit Verbraucherschutz- und Umweltthemen. Dabei ist er ständig auf der Suche nach neuen Rechercheansätzen und freut sich über Hinweise (cwo@ct.de).

Nach dem Studium der Publizistik absolvierte er sein Volontariat bei c't, im Anschluss arbeitete er im c't-Ressort «Mobiles und Internet». Von 2012 bis 2013 erwarb er an der Leuphana-Universität Lüneburg das akademische Zertifikat «Nachhaltigkeit und Journalismus». Von 2017 bis 2019 war er als Wirtschaftsreporter für die Hannoversche Allgemeine Zeitung tätig und kehrte dann zurück zu c't.