Diskussionen rund um E-Collecting

Im Unterschied zu E-Voting sind bei E-Collecting mehrheitlich wohlwollende Stimmen zu vernehmen. Vieles bleibt aber noch unklar, etwa die Auswirkung auf den demokratischen Zusammenhalt und den Parlamentsbetrieb. Eine Übersicht der Argumente und Teil 3 unserer Artikelserie zur digitalen Unterschriftensammlung.

Von Bruno Habegger · 20. Juni 2025

Für und Wider: E-Collecting wird in der Schweiz mehrheitlich positiv beurteilt. (Illustration: Patric Sandri)

Zur Erinnerung: E-Collecting ist die digitale Version des Unterschriftensammelns für Initiativen und Referenden auf der Strasse und an Begegnungsorten. Die Abraxas VOTING E-Collecting-Plattform, die nächstes Jahr im Kanton St. Gallen im Rahmen eines auf mehrere Jahre angelegten Tests zum Einsatz gelangt, erleichtert die Arbeit der Parteien und der von ihnen angeheuerten Drittfirmen. Stimm- und Wahlberechtigte wählen auf dem «digitalen Marktplatz» für laufende Sammlungen im Kanton die passende aus und leisten ihre digitale Unterschrift. Lesen Sie mehr in den weiteren Beiträgen in diesem Dossier. Die Diskussionen rund um das neue Instrument der Direktdemokratie sind eher wohlwollend.

Gegen E-Voting, für E-Collecting

«Die digitale Unterschriftensammlung ist eine gute Sache», schrieb Reto Vogt, ehemaliger Chefredaktor von Inside IT in seiner dnip.ch-Kolumne. Aber: «Eine schnelle Lösung ist keine gute Idee.» Es brauche Security, es brauche Sorgfalt, es brauche die nationale E-ID, Pilotprojekte, klare Regeln und die höchstmögliche Sicherheit. «Für die Demokratie steht zu viel auf dem Spiel, auch mit E-Collecting», sagt er. Dieses könne einen positiven Einfluss haben, wenn damit Unterschriftenbetrug verhindert und «wenn Auslandschweizerinnen und -schweizer involviert werden». Seine wohlwollende Sichtweise auf E-Collecting stösst auf seine totale Ablehnung von E-Voting, das technisch zu komplex, anfällig für Manipulationen und schwer kontrollierbar sei. Anders E-Collecting: «Solche Systeme lassen sich mit der nötigen Vorsicht, einer guten Projektleitung, genügend Ressourcen und dem richtigen Know-how sicher bauen und betreiben.» Der Bundesrat dürfte, wenn man nach Vogt geht, bei E-Collecting ruhig «ein bisschen mehr auf die Tube drücken».

Die Abraxas-Lösung

Bei der Entwicklung von Voting E-Collecting sind Datensparsamkeit, Sicherheit und das Verhindern einer Gesinnungsdatenbank im Vordergrund gestanden. Das Entwicklerteam bei Abraxas hat dazu die kritischen Punkte im politischen Prozess sorgfältig studiert und eine Lösung entwickelt, die technisch zeitgemäss ist und das Sammeln von Unterschriften auf ein höheres Sicherheitsniveau hebt – denn Unterschriften auf der Strasse lassen sich fälschen, und der dezentrale Prozess der Unterschriftenprüfung könnte zu Fehlern beim Beglaubigen führen.

 

Austausch mit Bevölkerung

Der Bundesrat lässt nun erst einmal die Auswirkungen des elektronischen Sammelns auf den Staat und die Demokratie in einem Vorprojekt untersuchen. Sein Bericht vom Spätherbst 2024 als Antwort auf mehrere Vorstösse im Parlament ist zurückhaltend formuliert. Es gebe viele Unwägbarkeiten, dennoch sei eine Modernisierung des bewusst niederschwellig angelegten analogen Sammelprozesses angezeigt.

Sechs von sieben Bundeshausfraktionen unterstützen den Wunsch nach Pilotversuchen mit E-Collecting auf Bundesebene. Als einzige stemmt sich die SVP dagegen. «Eine Initiative zu unterschreiben sollte mehr als ein Klick sein», sagt Nationalrat Benjamin Fischer. Es gebe keinen Handlungsbedarf, zumal Betrug im virtuellen Raum einfacher sei als auf der Strasse. Er findet, der Austausch mit der Bevölkerung auf der Strasse sei zu wichtig für die Demokratie.

Für Daniel Graf von der Stiftung für Direkte Demokratie, die E-Collecting mit Lobbyarbeit in Bern vorantreibt, ist es darum zentral, das Unterschreiben auf dem Klemmbrett mit einem Stift weiterhin zu ermöglichen. «E-Collecting ist bloss ein weiterer Kanal zum Unterschreiben, nur sicherer und mit mehr Datenschutz.» Der Weg für einen Test auf Bundesebene ist frei: Im überarbeiteten Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) gibt der Artikel 84a Kantonen und Gemeinden grünes Licht.

Durchgängige IT-Lösungen für sichere demokratische Prozesse – auch dank Abraxas.
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Direktdemokratische Instrumente verändern sich

«Die direktdemokratischen Instrumente spielen nicht nur eine wichtige verfassungsstaatliche Rolle, sondern erfüllen auch eine zentrale Funktion bei der sozialen und kulturellen Konstruktion des schweizerischen corps politique», heisst es in einer verfassungsrechtlichen und verfassungsgeschichtlichen Einordnung von Lorenz Langer und Irina Lehner.

Volksinitiativen könnten – weil einfacher gestartet und verwaltet – populärer werden und schneller zum Ziel führen. Für Polit-Analyst Mark Balsiger stellt sich darum die Frage, ob es Massnahmen brauche, eine mögliche Initiativenflut zu verhindern. Aber: «Wenn Begehren echte Debatten anstossen, wäre das positiv. Die kritische Betrachtung aber: Volksinitiativen treiben das Parlament und das Volk vor sich hin, was zu Politmüdigkeit führt.»

Der Bundesrat hingegen sieht's in seinem Bericht von Ende 2024 entspannt. Dennoch wird immer wieder darüber diskutiert, im Lichte des Bevölkerungswachstums das Quorum, die Anzahl benötigter Unterschriften, zu erhöhen. E-Collecting selbst – so eine Studie des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Bern von 2023 im Auftrag der Bundeskanzlei – werde nur zu einer geringen Zunahme von Zustande gekommenen Volksinitiativen und fakultativen Referenden führen.

Sicherheit stärken und freie Wahl

Wie können Mensch und Verfassung technisch geschützt werden? Marcel Salathé, Professor EPFL und Co-Direktor am AI Center der EPFL, befürwortet das digitale Unterschriftensammeln, stellt aber Bedingungen: Es dürfe keine zentrale Datenbank entstehen und sensitive Daten müssten auf den Geräten bleiben, der Quellcode öffentlich werden. Und: «Digital muss freiwillig bleiben – wer will, soll unterschreiben können.» Olga Baranova, Geschäftsleiterin des Vereins CH++ in der NZZ, ergänzt: «E-Collecting hat das Potenzial, unsere direkte Demokratie sicherer zu machen.»

Für IT-Sicherheitsexperte Christian Folini, der am Pilotprojekt in St. Gallen vom nächsten Jahr mitarbeitet, ist klar: Auch mit einer datensparsamen Umsetzung, wie sie Abraxas und der Kanton St. Gallen planen, werde sich die digitale Demokratie dynamisieren: «Wir müssen damit rechnen, dass sich unsere politische Kultur stark verändern wird.»

Drei Kritikpunkte an E-Collecting

Fehlende Erfahrung und Unsicherheit über Auswirkungen:
Der Kanton St. Gallen wird nächstes Jahr zusammen mit der VOTING E-Collecting-Plattform von Abraxas als Pionierkanton erste Erfahrungen sammeln.

«Die Einführung von E-Collecting wird im Kanton St.Gallen mustergültig vorbereitet und umfangreich geprüft. Praktische Erfahrungen fliessen in die Weiterentwicklung der Software ein.», so Luca Müller, Leiter Wahlen und Abstimmungen, Abraxas

Datenschutz und Sicherheit:
Mit ihrer Unterschrift dokumentieren Menschen ihren politischen Willen und damit ihre Ausrichtung in der Politlandschaft. Diese Daten sind besonders schützenswert. Es gilt, das mögliche Anlegen einer sogenannten Gesinnungsdatenbank zu verhindern.

«VOTING E-Collecting ist vom ersten Code an unter dem Gesichtspunkt von Datensparsamkeit und -sicherheit entwickelt worden. Eine Gesinnungsdatenbank ist nicht möglich.», meint Daniel Scherrer, Chief Security Officer, Abraxas.

Rechtliche und soziale Herausforderungen:
Es gibt Bedenken, dass E-Collecting die direkte Demokratie verändern oder sogar schwächen könnte. Anders gesagt: Findet der Prozess nur noch im digitalen Raum statt, könnte die schweizerische politische Gemeinschaft darunter leiden.

«VOTING E-Collecting fügt sich in die bestehenden direktdemokratischen Prozesse als zusätzlicher Kanal ein und erweitert die Zielgruppen der Komitees.», so Luca Müller.

Bruno Habegger

Über Bruno Habegger

Bruno Habegger ist Abraxas-Magazin-Autor und Senior Communication Manager. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im ICT- und Energie-Bereich als Journalist, Contentproduzent und Berater. Er war Präsident einer Regionalpartei und an seinem damaligen Wohnort acht Jahre Mitglied der Sicherheitskommission.