Was ist E-Collecting?

E-Collecting ist die Weiterentwicklung der traditionellen Unterschriftensammlung für die Volksrechte. Eine verständliche Einführung.

Von Bruno Habegger · 25. April 2025

Unterschriftensammeln wird bald auch digital möglich sein. (Illustration: Patric Sandri)

Auf der Strasse wildfremde Menschen anzusprechen und sie um eine Unterschrift für eine Volksinitiative zu bitten, ist nicht leicht. Einerseits der eigenen Scheu wegen, aber auch, weil politische Diskussionen Zeit und Geduld benötigen. Darunter leidet die Effizienz der Sammlung. Dass das politische Klima durch den Einfluss sozialer Medien aufgeladen ist, hilft beim Einholen einer genügend grossen Zahl von Unterschriften nicht. Dennoch ist diese Auseinandersetzung mit politischen Anliegen im öffentlichen Raum ein wichtiges Element des direktdemokratischen Systems, das sich seit 1848 entwickelt hat und sich jetzt mit «E-Collecting» auch im digitalen Raum bildet.

Volksrechte sind der Kern der direkten Demokratie. Dank ihnen bestimmen Bürgerinnen und Bürger in politischen Sachfragen mit. Sie können Vorschläge zur Revision von Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen machen (Volksinitiative) und über Parlamentsbeschlüsse im Nachhinein abstimmen (Referendum). Damit erfüllt das Volk eine Korrekturfunktion und kann sein Misstrauen gegenüber Behörden und der politischen Mehrheit äussern.

Lebendige Volksrechte

Die Volksrechte sind je nach Staatsebene unterschiedlich ausgeformt. So kann etwa auf Bundesebene mit einer Volksinitiative nur die Verfassung geändert werden, während in Kantonen auch Gesetzesanpassungen möglich sind.

Auf eidgenössischer Ebene umfassen die Volksrechte das obligatorische Verfassungsreferendum (seit 1848), das fakultative Gesetzesreferendum (seit 1874), die Verfassungsinitiative (seit 1891) und das seit 1921 zweimal erweiterte Staatsvertragsreferendum. Das Historische Lexikon der Schweiz entkräftet den Mythos, die Volksrechte seien eine Errungenschaft der Schweiz. Einflüsse der französischen Revolution und die junge Demokratie der USA beeinflussten ihre Entstehung wohl noch stärker als die ureidgenössische Landsgemeinde. «Volksrechte gelangten in der Schweiz im Wesentlichen mit der Demokratischen Bewegung ab den 1860er-Jahren zum Durchbruch». Dennoch seien in keinem Land die Volksrechte so früh, so umfassend und in einer auf allen Ebenen der Politik prägenden Form ausgestaltet worden wie in der Schweiz.

Traditionell ein komplexer, langwieriger und teurer Prozess. Am Beispiel der Volksinitiative auf Bundesebene zeigt sich der Aufwand, um während der Sammelfrist von 18 Monaten über das Quorum von 100'000 Unterschriften (Referendum 50'000) zu kommen: Zuerst formuliert ein Komitee den Text. Dieser wird von der Bundeskanzlei geprüft, danach erfolgt die Veröffentlichung im Bundesblatt. Nun beginnt die Sammlung «auf der Strasse». Laufend erfolgt die Kontrolle der Unterschriftenbogen durch die Gemeinden. Mittels Kontrollzeichen stellen diese sicher, dass eine Unterschrift nicht zweimal geleistet wird und dass die unterzeichnende Person über das Wahl- und Stimmrecht verfügt. Nach Abschluss der Sammlung und Einreichung der bestätigten Unterschriftenbogen stellt die Bundeskanzlei formell das Zustandekommen fest. Anschliessend behandeln Bundesrat und Parlament die Volksinitiative.

In den Kantonen gelten andere Fristen und Quoren. Im Kanton St. Gallen, der 2026 E-Collecting testen wird, braucht es beispielsweise für eine Verfassungsinitiative 8000 gültige Unterschriften. Für eine Gesetzesinitiative sind es 6000. Die Sammelfrist beträgt fünf Monate.

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Übergang in die digitale Schweiz

Die Zeichen für E-Collecting stehen gut. Die Nationale E-Government-Studie 2025 der Digitalen Verwaltung Schweiz zeigt, wie die Bevölkerung digitale Angebote der öffentlichen Verwaltung nutzt: «Die Bevölkerung schätzt zunehmend die Vorteile digitaler Behördenleistungen wie Zeitersparnis und Flexibilität und nutzt sie immer häufiger», schreibt Peppino Giarritta, der Beauftragte von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz, im Vorwort der Studie. Sie belegt, dass mittlerweile 73 Prozent der Bevölkerung mindestens die Hälfte der Behördengänge online erledigt. Ausserdem steigt das Vertrauen in die Online-Dienste. Entsprechend nimmt das Angebot laufend zu.

«Die Bevölkerung ist offen für die digitale Demokratie», sagt Luca Müller, Leiter Voting bei Abraxas. Nun rückt nach der Ergebnisermittlung und anderen Prozessen auch die Unterschriftensammlung in den Mittelpunkt des Ausbaus der «Abraxas VOTING»-Suite: Das neue E-Collecting-Modul wird in Kürze in den Bug-Bounty-Test geschickt und soll 2026 erstmals im Pionierkanton St. Gallen eingesetzt werden. Vom Bund war E-Collecting lange vernachlässigt worden. Im 2002 publizierten Bericht des Bundesrats «über den Vote électronic» erhielt die elektronische Unterzeichnung von Volksinitiativen und Referenden nur eine geringe Priorität. Mit der Corona-Pandemie und den jüngsten Skandalen rund um gefälschte Unterschriften vor allem in der Westschweiz erhielt E-Collecting nun jedoch neuen Auftrieb.

Was E-Collecting ist

E-Collecting ist der Fachbegriff für die «elektronische Sammlung» von Unterschriften. Die Bekundung der Unterstützung eines Begehrens wird hier digital geleistet. Dabei geht es nicht um eine Signatur auf dem iPad, sondern um mehr: «Die Vorteile von E-Collecting entfalten sich erst bei der Digitalisierung aller Verarbeitungsschritte», sagt Luca Müller.

Grundsätzlich umfasst E-Collecting folgende Teilschritte:

  • Elektronisches Unterschreiben: Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bekunden ihren Willen mit einer digitalen Unterschrift unter Wahrung des Stimmgeheimnisses. Dabei handelt es sich um ein sicheres Login, das im Hintergrund mehrere Prüfmechanismen auslöst.
  • Elektronisches Sammeln: Komitees und Initianten sammeln Unterschriften auf einer digitalen Plattform und in den sozialen Medien.
  • Elektronische Prüfung und Bescheinigung der Gültigkeit: Unterschriften werden bei der Abgabe automatisch mit dem kantonalen Stimmregister abgeglichen und die gesetzlich vorgeschriebenen Stichproben nach der Einreichung durch das Komitee vereinfacht.
  • Elektronisches Zählen der bescheinigten Unterschriften: In Echtzeit können Komitee und Behörden mitverfolgen, ob eine Initiative oder ein Referendum das Quorum erfüllt – und ob die Sammelfrist eingehalten werden kann.

Allgemeine Voraussetzungen zur Einführung von E-Collecting

Zentrales harmonisiertes Stimmregister
Es umfasst alle stimmberechtigten Personen eines Kantons und ist auf Gemeinde- und Kantonsebene anwendbar. So kann bei der Unterschriftenabgabe zuverlässig die Stimmberechtigung der unterzeichnenden Person geprüft werden, und das in Echtzeit.

Identitätsprovider für die Bevölkerung
Ein Identitätsprovider stellt der Bevölkerung in Verbindung mit der AGOV-Plattform eine sichere digitale Identität zur Verfügung. Hiermit authentifiziert sich die nutzende Person und kann so Unterschriftensammlungen initiieren und verwalten. Es muss möglich sein, unterschiedliche digitale Identitäten einzusetzen. Im Pionierprojekt des Kantons St. Gallen gilt: AGOV-Level 400 oder die voraussichtlich ab 2026 erhältliche staatlich anerkannte E-ID kommen dafür in Frage.

Rechtliche Grundlagen
E-Collecting muss als Sammlungsmethode rechtlich gestützt werden. Das ist eine Aufgabe der Kantone. Der Kanton St. Gallen ist hier weit fortgeschritten: Die rechtliche Grundlage wurde im Herbst 2024 in die Vernehmlassung geschickt. Der Kantonsrat soll das entsprechende Gesetz noch im 2025 verabschieden, damit der Pilotversuch 2026 starten kann.

Kein Ersatz für die analoge Zählung

E-Collecting beeinflusst ein zentrales Element der Demokratie, entsprechend vorsichtig und umsichtig will der Kanton St. Gallen vorgehen. Höchstens 50 Prozent der Unterschriften dürfen digital gesammelt werden. Kulturelle Veränderungen, eine höhere Dynamik im direktdemokratischen Prozess könnten zu weiteren Anpassungen der Volksrechte führen, wie nach Einführung des Frauenstimmrechts 1971, als sechs Jahre später die Zahl der gültigen Unterschriften auf Bundesebene zuletzt erhöht wurde. Seither wurde es trotz Bevölkerungswachstum nicht mehr angetastet.

Für den Kanton St. Gallen ist es wichtig, vorerst Erfahrungen zu sammeln. Staatssekretär Benedikt van Spyk rückt die Entlastung der Gemeinden in den Vordergrund, die weniger Bescheinigungen ausstellen müssen. «Und auch der Datenschutz ist deutlich besser als bei einer physischen Unterschriftensammlung.» Alle weiteren Effekte werden sich in den nächsten Jahren zeigen, die Worte des ehemaligen Bundeskanzlers Walter Thurnheer anlässlich einer Vernissage 2021 nachhallen: «Direkte Demokratie ist mehr als das Versprechen, die Bevölkerung laufend zu allen möglichen Fragestellungen zu konsultieren.»

Unterschriftensammeln: Print und digital im Vergleich

 

Analoge Unterschriftensammlung

E-Collecting

Sammelmethode

Handschriftlich auf Papier

Digital über Internet

Prüfung

Manuell durch lokale Behörden

Automatisiert mit digitaler Identitätsprüfung

Kosten

Höher (Personal, Material)

Geringer durch Automatisierung

Rechtssicherheit

Fehleranfällig

Höher durch digitale Prozesse

Zugang

Physische Präsenz nötig

Online, ortsunabhängig

Datenschutz

Dezentral, potenziell unsicher

Zentrale, sichere Plattform

Fehlerrisiko

Höher (z. B. Mehrfachunterschriften)

Geringer durch digitale Prüfung

Feedback

Verzögert

Echtzeit-Monitoring

Sicherheit

Manipulationsanfällig

Hohe Sicherheit durch Verschlüsselung

Flexibilität

Zeitaufwendig, unflexibel

Zeit- und ortsunabhängig

Vertrauen

Etabliert, aber missbrauchsanfällig

Neu, aber technisch sicher

Umwelt

Papierverbrauch, Transport

Umweltfreundlich

Bruno Habegger

Über Bruno Habegger

Bruno Habegger ist Abraxas-Magazin-Autor und Senior Communication Manager. Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im ICT- und Energie-Bereich als Journalist, Contentproduzent und Berater. Er war Präsident einer Regionalpartei und an seinem damaligen Wohnort acht Jahre Mitglied der Sicherheitskommission.