«Die Digitalisierung ist Realität – wie gestalten wir sie?»

Ob E-Voting, E-Collecting oder Partizipation: Benedikt van Spyk sieht in der Digitalisierung enorme Chancen für eine lebendige Demokratie. Im Gespräch erläutert der Staatssekretär des Kantons St. Gallen, warum pragmatische Lösungen, Sicherheit und politische Lernbereitschaft im Zentrum stehen müssen.

Von Marcel Gamma · 30. April 2025

Benedikt van Spyk, Staatssekretär des Kantons St. Gallen, im Videointerview zu digitaler Demokratie. (Video: Samuel Näf)

Digitalisierung und Demokratie – wie verändern digitale Prozesse aus Ihrer Sicht die Demokratie?
Ich glaube, Digitalisierung fordert die Demokratie fundamental heraus. Der Hauptaspekt ist die Verfügbarkeit und Vermittlung von Informationen. Die Verfügbarkeit der Informationen hat durch die Digitalisierung enorm zugenommen. Das ist ihr grösster Nutzen. Gleichzeitig birgt die Digitalisierung neue Risiken: Fake News, Deepfakes und insbesondere die Informationsflut nehmen zu. Informiert zu sein über die Themen, über die man mitentscheiden soll, ist der Kern demokratischer Prozesse. Gleichzeitig vereinfacht Digitalisierung die Bürgerbeteiligung und senkt Hürden. Digitale Tools können mehr Menschen einbeziehen, gerade bei lokal relevanten Themen wie der Gestaltung eines Parks. Ich finde, hier haben digitale Tools ein enormes Potenzial. Technisch ist das jetzt machbar.

Führen digitale Tools wie E-Voting zu höherer Stimmbeteiligung?
Ich glaube nicht, dass E-Voting kurzfristig die Beteiligung erhöht. Ich glaube, dass es aktuell andere Vorteile und Gründe dafür gibt. Es soll den Zugang erleichtern, aber die Vorteile sind vor allem in der Prozessqualität: Die eigene Stimme wird nicht einfach in einen Briefkasten gelegt, sondern sofort verschlüsselt in einer elektronischen Urne abgelegt und kann auf Knopfdruck gezählt werden. Das ist ein x-fach effizienterer Prozess als Papier zu drucken, zu verschicken, wieder auszupacken und auszuzählen – und er hat natürlich eine viel höhere Qualität. Zudem ist E-Voting ein zusätzlicher, unabhängiger Kanal: Die Abstimmungsprozesse sind getrennt, andere Menschen sind involviert, und das erschwert die Manipulation. So erhöht E-Voting aus meiner Sicht insgesamt die Stabilität und Sicherheit eines Wahl- und Abstimmungsprozesses. Zudem führten die Debatten rund um E-Voting bei der Verwaltung dazu, sich intensiv mit der Sicherheit der Wahlprozesse auseinanderzusetzen, was Know-how aufgebaut hat. Dieses Wissen konnte nun bei der Planung von E-Collecting genutzt werden.

Durchgängige IT-Lösungen für sichere demokratische Prozesse – auch dank Abraxas.
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Wie sehen Sie die Rolle von E-Collecting?
E-Collecting und E-Voting sind zwei grundsätzlich verschiedene Systeme. Beim E-Voting will man möglichst niederschwellige Teilnahme, beim E-Collecting ist die eingebaute demokratische Hürde der Unterschriftenzahl und der Sammelfrist gewollt – man soll zeigen, dass ein Anliegen Unterstützung findet. Wird die Unterschriftensammlung elektronisch vereinfacht, stellt sich die Frage nach der Legitimation: Wie viele Unterschriften braucht es? Wie beeinflusst das die Sammelfrist? Niemand kennt die Antwort. Das war eigentlich unsere Hauptmotivation, mit E-Collecting zu starten. Wir haben das Know-how bezüglich Sicherheit. Und als Kanton sind wir nicht so stark exponiert wie der Bund. Im Pilotprojekt im Kanton St. Gallen können daher bewusst nur 50 % der Unterschriften elektronisch gesammelt werden. Wir möchten wissenschaftlich auswerten, wie viel einfacher das elektronische Sammeln im Verhältnis zum Sammeln auf der Strasse ist. Diese Pilotphase ist auf sieben Jahre angelegt. Diese Erkenntnisse können später auch für den Bund als Grundlage dienen.

Ist damit zu rechnen, dass nur noch elektronische Unterschriften gesammelt werden?
Ich glaube, es braucht aktuell auch den Weg des Sammelns auf der Strasse. Diese Hürde bleibt wichtig für die Legitimation eines Anliegens. Der physische Prozess ist heute aber auch mit Blick auf die Sicherheit nicht optimal. Zehntausende von Unterschriften in einer privaten Wohnung zu lagern ist als Datenhaltung ebenfalls problematisch – es geht um höchst schützenswerte Personendaten und die politische Haltung von Personen. Hier bringt die Digitalisierung sicher einen grossen Vorteil.

Warum geht St. Gallen mit E-Collecting voran?
Wir hatten den Auftrag aus einer Motion des Kantonsrates. Uns hilft, zudem dass der Kanton St. Gallen ein E-Gov-Gesetz hat, mit dem man mit den Gemeinden verbindlich zusammenarbeiten kann. Es hilft auch, dass dank Abraxas einheitliche Einwohnerlösungen in den Gemeinden schon sehr weit verbreitet sind. So konnten wir ein tagesaktuelles Stimmregister aufbauen. Das ist zentral, um sofort prüfen zu können, ob eine Unterschrift gültig ist. So wird der Prozess des elektronischen Unterschriftensammelns auch viel effizienter, weil keine Gemeinde mehr die Unterschriften prüfen muss.

Benedikt van Spyk
Staatssekretär Kanton St. Gallen
«Digitalisierung ist heute Alltag und hat ganz viel Potenzial. Hier geht darum, sinnvolle Projekte umzusetzen, statt blind jedem Hype zu folgen.»

Wie wichtig ist dabei das Zusammenspiel von Regierung und Verwaltung?
Sehr wichtig. Es braucht politischen Willen und die Bereitschaft, auch Fehler als Lernchancen zu sehen. Ohne das geht es nicht. Ich glaube, es ist zentral, dass sich die politischen Entscheidungsträger auf die Themen einlassen und sich ein gewisses Fachwissen aneignen, ohne den Anspruch zu erheben, Experte zu sein. Ich finde, das ist in St. Gallen aktuell gegeben. So kann auch eine Struktur in der Verwaltung geschaffen werden, die Themen aktiv voranbringt.

Welche Rolle spielen Sie dabei?
Ich sage immer, meine Rolle ist die eines Transmissionsriemens, der versucht, verschiedene Ebenen in Verbindung und möglichst zu einer guten Zusammenarbeit zu bringen. Ich bringe mich bei der Digitalisierung im Rahmen verschiedener Gremien ein und versuche insbesondere auch die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden in diesem Thema voranzubringen.

Sie wirken sehr engagiert. Was treibt Sie an?
Einerseits ist es ein Teil meines Auftrags. Ich habe den Auftrag, die Staatskanzlei als Organisation und den Kanton als Organisation möglichst so aufzustellen, dass wir gute Leistungen und Angebote und Lösungen für die Bevölkerung erbringen können. Andererseits ist Digitalisierung heute Alltag und hat ganz viel Potenzial. Hier geht darum, sinnvolle Projekte umzusetzen, statt blind jedem Hype zu folgen. KI ist ein Beispiel. Man sollte nicht in operative Hektik verfallen. Den richtigen Umgang zu finden, ist eine Kernaufgabe.

Sie sind in gewisser Weise ein Trendforscher. Was ist Ihre Prognose: Wohin geht digitale Demokratie?
In Richtung Standardisierung beispielsweise bei Datenformaten. Und es braucht höhere Qualitätsanforderungen an die eingesetzten Tools im Bereich Wahlen und Abstimmungen. Ein Sicherheitsfaktor im früheren Ergebnisermittlungssystem war beispielsweise, dass es 25 Jahre alt war und die Programmiersprache kaum mehr jemand kannte. Gemeinsam mit Abraxas haben wir gestützt auf eine öffentliche Ausschreibung ein neues Systems mit neuem, offenem Code, Bug-Bounty-Programm und damit einem höheren Sicherheitsstandard im Bereich der politischen Rechte entwickeln können. In den nächsten Jahren wird sich auch die Möglichkeit der Partizipation auf elektronischem Wege stark verbreiten.

Marcel Gamma

Über Marcel Gamma

Marcel Gamma arbeitet seit seiner Webmaster-Ausbildung 1998 praktisch ausschliesslich im Bereich IT- und Online-Kommunikation. Er ist Senior Communication Manager bei Abraxas. Zuletzt war er 5 Jahre Chefredaktor von inside-it.ch und inside-channels.ch, davor Kommunikationsverantwortlicher des Verbands swissICT, Ressortleiter der Aargauer Zeitung, Consultant bei einer Full-Service-Webagentur und Content Coordinator und Online-Journalist bei bluewin.ch.